Seite:OAHall0047.png

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den Schultern, die Arme entlang, und an den Handgelenken mit Perlmutterknöpfen besetzt, hier die goldenen Kreuze und Colliers, die vielen goldenen und silbernen Ringe mit falschen Steinen zum Vorschein, und Hunderte dieser artigen Gesichter und schmucken – nicht selten die Nachhülfe des Corsetts verrathenden – Gestalten strömen die Gassen auf und ab, zu und von den Tanzplätzen. Aus allen Wein- und Bier-Häusern schnarrts und fidelts, daß Einem die Ohren sausen, und der eigenthümliche hall’sche Gesang johlt ohrzerreißend in allen Ecken. Der hall’sche Landmann singt bis zur Leidenschaft gerne und es muß bei jeder frohen Veranlassung gesungen seyn, aber es wird in so furchtbarer Höhe und mit solcher Stärke gesungen, daß man jeden Augenblick glaubt, die Halsadern der Sänger müßten bersten oder ihr Schädel zerspringen. Da hiebei weder auf den Umfang noch auf die Stimmgattung der Mitsingenden Rücksicht genommen wird, so entsteht ein eigenthümlich krähender Chorus, der das Gehör auf eine wahre Marterprobe setzt. Da der hall’sche Bauer in diese Bravour seiner Kehle einen Stolz setzt, so ist es bis jetzt noch nicht gelungen, einen sanfteren und harmonischen Gesang einzuführen. Sonderbarer Weise singt man dagegen in den Kirchen gut, was man theils den Bemühungen der Lehrer und ihrem Einfluß auf die Jugend, theils dem Umstand zuzuschreiben hat, daß der hall’sche Bauer sein ganzes Wesen mäßigt, so wie er in den Hausstand eingetreten ist, wonach also in der Kirche durch die wohleingeübte Schuljugend und die sanftern Eltern der Gesang der Ledigen überwältigt und in den Strom des Wohllauts hineingezogen wird. – Die Hochzeiten ferner bieten eine ziemlich eigenthümliche Physiognomie dar. Brautführer und Bräutigamsführer sind nicht wie im Altwürttembergischen ledige Leute, Brüder und Schwestern, Kameraden und Kamerädinnen, sondern die beiderseitigen Eltern, Oheime, Muhmen oder Taufpaten, Vormünder, Pfleger u. dgl. Die Hochzeitknechte und Mägde bilden eine eigene Sippschaft, eine Art von Adjutantur des allgemeinen Vergnügens, welchem Beruf sie denn auch nach besten Kräften nachkommen. Den Tag vor der Hochzeit wird ein nach Lärm und Genuß von Getränken dem Hochzeitstag fast gleich kommender Einzug gehalten, wobei das Hausgeräthe des anziehenden Theils immer so sinnreich geordnet ist, daß die Wiege oben auf zu liegen kommt, und welches auf einem mit vier schönen, wohlgeschirrten Rossen bespannten Wagen, die bekränzte Brautkuh an einem rothen Bande hintendrein und zuletzt unter Pistolenschüssen das Brautpaar in einiger Distanz, um rasch fahren zu können, eingeführt wird. Am Hochzeitstage wird vor dem Gottesdienst die Frühsuppe, bestehend aus Nudeln oder Reis, mit Rindfleisch

Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Hall. Verlag der J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen 1847, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAHall0047.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)