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Erforderniß in Liebesverhältnissen, und der Wechsel der Gegenstände erzeugt keine große Eifersucht, deren Pein man durch augenblicklichen Ersatz zu stillen weiß. Die Ehen sind meistens sehr friedlich, wohl auch größtentheils dadurch, daß man sich die Verirrungen der Jugend gegenseitig zu gute hält, und weil die Haderkatze Armuth von vielen derselben ferne bleibt. Die Kinderzucht ist schlaff, und der Gehorsam der Kinder wird nicht sowohl durch Erziehung und Lehren, als vielmehr durch Gewöhnung zum Geschäft, wodurch er mehr den Charakter der dienstmäßigen Subordination, als den der freien Unterwerfung aus Liebe annimmt, unterhalten. Der Gang der Haushaltungen ist sehr geregelt, wofern nicht das Gesinde, das durch häusliche oder auswärtige Liebesbündnisse häufig verdorben, durch hohe Löhne, gute Kost und vertrauliche Behandlung träge, übermüthig und trotzig gemacht ist, Störungen verursacht. Beweis hievon ist, daß selten ein Knecht oder eine Magd über ein Jahr in demselben Dienste bleibt, denn auch der beste Dienstbote behält sichs voraus, ein oder mehrere Male des Jahrs mit rücksichtslosester Hintansetzung seiner Pflichten und Geschäfte zwei bis drei Tage auf einer Kirchweihe oder einem Jahrmarkt herumzuschweifen, wobei er mindestens seinen Vierteljahrslohn aufgehen läßt. An Lichtmeß ist alsdann große Gesindewanderung, wobei mancher Knecht bis zum nächsten Ort drei bis vier Tage unterwegs bleibt und den letzten Heller durch zwei geliebte Gurgeln jagt. Ein allzustrenges Regiment über das Gesinde vermag der Bauer nicht zu führen, einmal, weil jene Race sehr zahlreich ist und auf die Leichtigkeit anderweitiger Unterkunft pocht, und weil er die Wage möglichst eben halten will, wie er denn zu scharfen Maßregeln und zu Extremen der Mann nicht ist, sondern eine gewisse Artigkeit in allen Verhältnissen behauptet. Artig, manierlich ist der hall’sche Bauer, er hat einen gewissen, freilich nur äußerlichen Schliff und keine Spur von der plumpen Derbheit des altwürttembergischen Bauers, dagegen aber auch keine Spur von Biederkeit, d. h. von naiver Treuherzigkeit und ungezwungener Offenheit in Benehmen und Ausdruck. Vielmehr ist er etwas versteckten, verschmitzten Wesens, und heimlich Spiel treiben ist ihm angemessener und lieber als offenes. Er ist umgänglich, jovial, gesellig, dienstfertig, dabei etwas geschwätzig und neugierig, wobei er meist eine Absicht zu erreichen hofft, liebt auch Spectakel und Curiosa. Er ist gelehrig und faßt leicht, aber er scheut die Anstrengung des Lernens, und die Eindrücke desselben haften nur flüchtig bei ihm, sein Culturgrad ist ein mittelmäßiger. Dabei ist er sehr abergläubisch und dem Gespenster- und Hexen-Glauben zugethan; er schafft ohne Unterlaß

Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Hall. Verlag der J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen 1847, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAHall0050.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)