Seite:OAMarbach0255.jpg

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der vielleicht früher eine kleinere Kirche oder Kapelle stand, ward in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die jetzige großartige romanische Stiftskirche erbaut und zwar so, daß der an der Ostseite des Gebäudes stehende Thurm mit seinem untersten Stockwerk eine Verlängerung der ursprünglichen Krypta, das zweite Stockwerk des Thurms aber den Chor der Oberkirche bildet. Dieser Anbau an die ursprüngliche Krypta ist mit ihr von gleicher Breite, jedoch bedeutend höher und nur einschiffig, im Grundriß quadratisch mit kräftigen, nicht hohen Rundsäulen in den Ecken, die ein hohes, spitzbogiges Gurten-Kreuzgewölbe tragen. 1

Das großartigste und architektonisch interessanteste des Kirchengebäudes ist der dreistockige massiv aus Quadern erbaute Thurm; das vierte Stockwerk wurde styl- und geschmacklos in neuerer Zeit aus Holz aufgebaut und ist, wie auch das ihm aufgesetzte geschweifte Dach, mit Schiefer verkleidet. Das untere, ganz einfach gehaltene Stockwerk des Thurms enthält an der Ostseite (Schauseite) ein kleines tief eingeschrägtes Fenster, das Licht in die Krypta bringt und ist an der sonst schmucklosen Wand mittelst Lisenen in drei hohe Felder getheilt. In das zweite, reicher ausgestattete Stockwerk setzt die Lisenentheilung bis über dessen halbe Höhe hinauf fort, schließt wagrecht mit einem Rundbogenfriese und umfaßt das in den Chor eingehende Rundbogenfenster, welches durch Rundstäbe und Kehlen schön gegliedert ist und auf der tief eingeschrägten Fensterbrüstung zwei gegeneinander springende Thiergestalten (Löwe und Bär) enthält. Die obere Abtheilung dieses Stockwerks zeigt nur noch Lisenen an den Ecken und schließt mit einem kleinen gezahnten, wagrecht hinziehenden Rundbogenfries ab; es enthält ein ebenfalls in den Chor eingehendes Rundfenster. Die beiden anderen freien Seiten (Nord- und Südseite) des Thurms haben keine Theilung durch Lisenen und zeigen nur einfache Rundbogenfensterchen. Das dritte und zugleich schönste Stockwerk enthält an der Ostseite ein sehr schönes großartiges, durch eine Säule getheiltes Rundbogen-Doppelfenster mit Säulen in den beiden Ecken, welche die Bögen tragen; die Südseite schmückt ein dreifaches Rundbogenfenster, dessen Bögen auf schlanken der Tiefe nach gestellten, mit Fratzenköpfen ausgestatteten Doppelsäulen ruhen; auf der Nordseite finden wir wieder ein Fenster, das dem auf der Ostseite ähnlich ist, nur mit dem Unterschied, daß hier in der Mitte zwei Säulen stehen. Über diesen großen Fenstern befindet sich, auch auf der vierten ganz einfach behandelten Seite, je ein durch ein

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Marbach. H. Lindemann, Stuttgart 1866, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAMarbach0255.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)