Seite:OAMaulbronn0155.jpg

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Ein Freskobild, Christus mit Ruthe und Rohrstab, ist noch sichtbar; die hier hinabführende Treppe heißt die Höllenstiege. 1

Hat man so viele Räume schon durchschritten, so glaubt man die Möglichkeit neuer schöner Bauformen erschöpft, aber wieder ganz andere und außerordentlich schöne treten auf an dem vom östlichen Flügel des Kreuzganges aus sich öffnenden Kapitelsaale; hier ist die Frühgothik in ihrer anmuthigsten Art: hohe Schlankheit der Verhältnisse, sehr feine Durchführung und Ausbildung der Gliederungen und Ornamente, dabei noch Alles körperhaft gediegen, nicht dünn und trocken, an Holzarbeit mahnend; dies beweisen schon das vom Kreuzgang hereinführende Doppelportal und die großen Fenster daneben: schlanke Rundsäulen tragen auf ihren Kapitellchen das strenge und geistvolle Maßwerk. Der auch gegen Osten durch schöne Maßwerkfenster erhellte Raum ist innen 27′ breit und war einst noch einmal so lang, ehe an seiner Südseite ein schmaler Streifen abgetrennt wurde. Seine äußere Breite ist gleich der des Querschiffes. Drei schlanke, die Mitte des Saals entlang stehende Säulen breiten von sich prächtige Sterngewölbe, deren Schlußsteine mit den vier Evangelistensymbolen und herrlichen feinen, tief ausgezackten Blätterkränzen geschmückt sind. Die Rippen senken sich an den Wänden auf Blätterkonsolen von großer Schönheit; weniger zu loben sind die Kapitelle der Freisäulen, die ein Kranz von Konsölchen umgibt. Dieselben Kapitelle sind an der Fensterwand des hier anstoßenden Kreuzgangsflügels, während die Kapitelle der Säulen der inneren Wand zu den schönsten gehören; an ihrem Blattwerk, gleichwie an dem der Konsolen im Kapitelsaale sind natürliche Blätter in reizendster Weise verwendet, namentlich Blätter von der Eiche, dem Ahorn, der Platane, dem Bärenklau, dem Epheu, der Rose u. s. w. Um das Kapitell der Säule des Doppelportales sitzen Vögel. Die gegen Osten hinausgehenden, jetzt mit farbigen Scheiben erfüllten Spitzbogenfenster haben ihre schönen Maßwerke aus lauter Drei- und Vierblättern (ohne Umfassungskreise) zusammengesetzt, und an der Südostecke baut sich die so zierliche halbachteckige, außen mit zarten Strebepfeilerchen besetzte Johanniskapelle vor, die unter sich eine halbverschüttete Krypta birgt; vielleicht war es auch nur ein Gruftgewölbe zur Ausstellung der Leichen gestorbener Klosterbrüder. Jedenfalls stammt aber dieser halb unterirdische Theil aus der Zeit der Erbauung des Sommerrefektoriums, denn einige breite, reich diamantirte Gewölberippen spätromanischen Stils überspannen den niedrigen, von ganz kleinen Rundbogenfensterchen erhellten Gruftraum, der sich gegen den Kapitelsaal mit einem weiten, auch diamantirten Stichbogen öffnet. Die Kapelle selbst wird von fünf schönen Spitzbogenfenstern durchbrochen und ihr feines Sterngewölbe strahlt wieder in reichem Blätterschlußsteine zusammen. Wozu der östlich zwischen Kapitelsaal

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Maulbronn. H. Lindemann, Stuttgart 1870, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAMaulbronn0155.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)