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dreiseitiger steinerner Erker (mit der Jahreszahl 1547) heraus. Das Innere des Hauses zeigt entschiedene Renaissanceformen, im weiten Vorplatz des zweiten Stockwerks eine hölzerne Kassettendecke und an der Südwand eine Steinsäule mit verziertem Schaft und schönem Aufsatz. Das Schönste aber besitzt das Hauptzimmer dieses Stockwerks, hier ist die Wand gegen die Straße hin aufgelöst in zwei zierliche Steinsäulchen, die mit ihren breiten Aufsätzen (ähnlich wie im romanischen Stil) die tiefe schwer darauf lastende Mauer tragen. Die Kapitelle der Säulchen sind noch gothisirend und gehen in’s Achteck über, die Stirnen der Aufsätze tragen wohlgebildete Konsolen und darüber den Stadtadler; rechts vom zweiten Säulchen baut sich der oben genannte Erker hinaus, so daß die ganze Wand reizend belebt ist und gar bequeme lauschige Plätzchen bietet.

Das Stadtwirthshaus bildet den Übergang zur zweiten Reihe sehenswerther Privathäuser, zu denen im Renaissancestil, wovon wohl das älteste das östlich vom Rathhaus gelegene, ehemals von Kuon’sche Haus, jetzt dem Kaufmann Kirsner gehörig, vierstockig, mit einem hölzernen durch die drei oberen Geschosse gehenden Erker, dessen Fensterbrüstungen von hübschen gothischen Maßwerken bedeckt sind. Das Haus ist sonst ganz von Stein mit weitem rundbogigem Eingang, in dessen Zwickeln zwei Engelchen (Putten) ausgemeißelt sind. Die zierlichen geradgestürzten und gedoppelten Fenster haben zarte mit Masken besetzte Konsölchen unter den Simsen. Auf dem Friedrichsplatz besitzt das dem Gipsermeister Heinrich Kurz gehörige Haus ein in schönem Renaissancegeschmack vertäfeltes Zimmer, vollständig antik dekorirt mit Pilastern, Fries, Eierstab, Zahnschnitt u. s. w. und der Jahreszahl 1627.

Das sehr hübsche Herderer’sche Haus, westlich am Stadtwirthshaus, ganz aus Stein, vierstockig, im Spätrenaissancegeschmack, mit zwei schönen zweistockigen Erkern; die Fenster sind von toskanischen Pilastern eingefaßt und über dem großen mittleren Eingang besagt eine Inschrift, daß Thaddeus Herderer Consul das Haus erneuern ließ, weiter sieht man das Herderer’sche Wappen, die Jahreszahl 1709, die Zeit der Erbauung, und den Namen des Erbauers, Kaspar Ignatius Herderer, derzeit Amtsburgermeister. Ein sehr schmales steinernes vierstockiges Haus in ganz ähnlichem Geschmack ist an den schwarzen Thorthurm hingedrängt und hat die Jahreszahl 1702.

Dann sind sehr viele Häuser, ähnlich wie in den Schweizerstädten, z. B. in Schaffhausen, mit steinernen oder hölzernen Erkern (hier „Ausstöße“ genannt) geschmückt, die hölzernen zum großen Theil mit den Wappen der Erbauer und großformigen Blumenranken an den Brüstungen und mit den Jahreszahlen 1711, 1712, 1713, 1715.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Rottweil. H. Lindemann, Stuttgart 1875, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OARottweil0202.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)