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Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand erzählt in seiner Lebensbeschreibung von einem Stuttgarter Schneider, der den Scheibenschießen bis Cöln nachgezogen. Noch am 13. September 1618 hielten die Bürger ein großes Armbrustschießen, und es war noch allgemein Sitte, Sonntags mit Armbrust und Büchse sich zu üben. Das städtische Armbrusthaus lag am Graben gegen die Eßlinger Vorstadt, das Büchsenschießhaus anfänglich am mittleren See bei dem Büchsenthor. Jetzt hält die Schützengesellschaft, welche unter 2 Schützenmeistern etwa 400 Mitglieder zählt, ihre Übungen in dem 1840 in der Nähe des Militärschießhauses bei dem Feuersee erbauten städtischen Schießhause. – Vielfache Vergnügungen bieten auch die näheren Umgebungen der Stadt dar, wovon der Schloßgarten obenan steht. Das an seinem Ende gelegene Berg wird hauptsächlich Sommers seiner Mineralquellen und Flußbäder wegen stark besucht, indeß Canstatt nicht bloß in der schönen Jahreszeit und hauptsächlich am landwirthschaftlichen Volksfeste, sondern auch Winters bei den Reunionen die Stuttgarter versammelt. Die Bälle, Soireen und Concerte werden sehr fleißig besucht. Außerdem sind Tauf- und Hochzeit-Schmäuse überall üblich; auch wird die Gelegenheit, welche die Eisenbahn darbietet, zu nahen und fernen Ausflügen recht häufig benützt. 1

Von besonderen Gewohnheiten ist wenig zu erwähnen. In älteren Zeiten wurde die Begleitung des Täuflings vor der Stiftskirche von dem Thürmer und Zinkenisten „angeblasen“, und auch bei „offenen Hochzeiten“ ging man (schon 1400) mit Trommeln und Pfeifen zur Kirche, vor welcher die Braut gleichfalls mit Musik empfangen wurde. Dieser Lärm war 1592 so groß, daß der Prediger nicht gehört werden konnte und das Übermaß mit der Strafe des Narrenhäusleins bedroht ward. Die Hochzeit-Bankette des Hofadels wurden im Schlosse, die der sonstigen Angeseheneren im Herren- und Rath-Hause gehalten. – Bei Leichenzügen wurde großer Pomp entfaltet. Die nächsten Blutsverwandten bildeten „die Männer- und Weiber-Klage“. Die erstere trug „Vorhänge“ oder „Maultüchlein“, welche bis über die Nase hinaufreichten; die Frauen wurden (noch 1713) in „Stürzen“ geführt, d. h. das Angesicht und der ganze Leib war mit Flor und schwarzem Tuch eingehüllt, wodurch Sommers nicht selten Ohnmachten verursacht wurden. Die Feier eröffnete ein oft Stunden langes Gepränge wegen des Vorantrittes, und wurde durch ebenso lange dauerndes Condoliren geschlossen. Bei Vornehmen gingen Präceptoren mit Gymnasisten, bei Anderen Schulmeister mit Schulkindern unter Gesang voran. Jene waren (noch 1784) durch

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Rudolph Moser: Beschreibung des Stadtdirections-Bezirkes Stuttgart. Eduard Hallberger, Stuttgart 1856, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAStuttgartStadt0098.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)