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zunächst der südöstliche Bau[1] in Betracht. Er hat schöne kühne Gewölbe, geschweifte Giebel, spitze Dächer, Erker und römisch-artige Thürme. Die Umfassungsmauern, im ersten Stockwerke 5′ dick, verjüngen sich nach Oben; die Quader an den Vorsprüngen reichen nirgends durch die ganze Mauerdicke, sondern haben ein Hintergemäuer von rauhen Mauersteinen. Der ganze untere Stock ist, mit Ausnahme des dem Hofe zugekehrten Kellerstübchens, wo der Kellermeister saß, ein 136′ langer, 51′ breiter, der Länge nach getheilter freier Raum mit einer Mittelmauer, die eine 22′ hohe Thorbogenöffnung hat, und mit Säulen aus hohen Spitzbogenfenstern. Es ist dies die sogenannte Türnitz; aus den frühesten Zeiten herstammend, da sie ohne Zweifel ursprünglich das Hauptgebäude, der Palas (palatium) war, der in keiner größeren Burg fehlte. Erst als Versammlungs- und Speise-Halle des Grafen und seiner Vasallen und Dienstleute dienend, dann nach einer schon 1575 bestandenen Sage zu Stechen und kleinen Turnieren benützt, hatte sie schon zu Christophs Zeiten die Bestimmung als Speisehalle der mittlern und niedern herzoglichen Beamten und Hofdiener, die Alle als des Fürsten Hausgenossen, vom Höchsten bis zum Niedersten, durch ihn nicht nur gekleidet, sondern auch gespeist und getränkt wurden[2]. In die Türnitz konnte man mit Roß und Wagen


  1. Mehreres über die Bauart ist einer bei dem K. Oberhofmeisteramte befindlichen, auf genaue Untersuchungen gegründeten, handschriftlichen Abhandlung des verst. Oberbibliothekars v. Lebret entnommen.
  2. Der Tische waren es hier gewöhnlich 50, woran 420–450 Diener saßen, und zwar dreierlei: die an den 4 obern oder Trippel-Tischen, wo auch Gäste mittleren Standes und die Amtleute, wenn sie in Geschäften nach Stuttgart kamen, Platz nahmen, durften 5/4 Stunden (die andern nur 1 Stunde) sitzen bleiben, erhielten 6 Speisen, Käse und Jeder 2 Gläser Ehrenwein; unter dem Trippel kam zuerst das Zinnessen mit 5 Speisen, 1 Glas Ehrenwein und 1 Glas Wermuthwein, und hierauf das Holzessen aus hölzernen Schüsseln mit 4 Speisen. Sommers nahm man die „Morgensuppe“ um 6, den „Mittag-Imbiß“ um 9 und das „Nachtessen“ um 4 Uhr. Winters je eine Stunde später. Welche Gugelfuhr da getrieben wurde, läßt sich denken, da (z. B. im J. 1626) Jeder über jedes Essen 2–3 Schoppen, ein Edeljunge sogar eine Maas Wein bekam. Es ist nicht aufgezeichnet, ob hier auch die lustigen Personen des Hofes tafelten: die Närrinnen und Narren, die Graf Eberhard d. ä. hatte; die Narren Herzogs Ludwig, davon der Jörg 1581 von einem Hofjunker erschlagen ward; die Zwerge, deren es 1569 vier waren, und die Zwergin, die 1588 erwähnt wird. Die Musiker und Sänger aber saßen zusammen und musicirten unter dem Vorgeben, daß sie sich üben müßten, und die Andern schrieen und lärmten darein, daß der Burgvogt und der „Saalmeister“, welche die Ordnung aufrecht erhalten sollten, fast verzweifelten, bis der Letztere, nach Ablauf der gestatteten Tischzeit, drei Streiche that und nach diesem „Ausklopfen“ die Halle geräumt und die während des Essens geschlossenen Schloßthore wieder geöffnet wurden.
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Rudolph Moser: Beschreibung des Stadtdirections-Bezirkes Stuttgart. Eduard Hallberger, Stuttgart 1856, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAStuttgartStadt0115.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)