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fahren, um von da die Fässer des wohl 700 Jahre alten, schönen, 400 Fuder fassenden Kellers zu füllen. Er ist 84 Schritte lang und 35 breit und hatte 4 Zeilen Fässer, deren eines 47 Fuder und 4 Eimer faßte. Über der Türnitz sind zwei Stockwerke, in welche man durch die leichtgehaltene Reittreppe, deren 8′ breite Treppenarme auf Kreuzgewölben ruhen, selbst zu Pferde bis zu einer Altane mit Säulen unterm Dache gelangen konnte. Sie führte, wie 1575 gesagt wird[1], „zu den uralten Zimmern der Vorfahren“. Hier war der Estrich von Gyps und „gegossenem Stein“ in mancherlei Figuren, die Balken künstlich geschnitzt und ausgehauen, die Gemächer schön getäfelt, mit „Marmelstein“ und Schnitzwerk geziert. In diesem Mittelstocke befand sich die Wohnung des Fürsten, außer Anderm der noch im 16. Jahrhundert gewöhnlich „Ritterstube“ genannte Rittersaal, seit der Palas verlassen worden der wichtigste Raum des ganzen Schlosses, der auch zu Festlichkeiten aller Art diente. Er war (1560) der Länge nach durch ein eisernes Doppelgitter, das weggenommen werden konnte, getheilt. Hier erschien seit den ältesten Zeiten die Landschaft, um die Propositionen zu vernehmen; hier empfieng der Fürst ihre Deputationen und überreichte der fürstliche Bräutigam nach erfolgter Beschlagung der Decke der Braut die Morgengabe und empfing das Brautpaar die Geschenke der Hochzeitgäste; auch datirte „aus der Ritterstube“ Herzog Christoph die meisten seiner Resolutionen. Hier war auch die fürstliche und die Marschalls-Tafel, diese (1626) mit den höheren Beamten und Hofdienern, in der Regel 166 Personen, an mehreren Tischen. Neben der Ritterstube lag des Herrn Gemach und seine Schneiderei, wo der „Kammerschneider“ arbeitete. Der zweite Stock, „das Frauenzimmer“, diente schon vor 1480 zur Wohnung der fürstlichen Familie. „Stuben und Kammern“ – heißt es 1575 – „sind gar heimlich, still. Da pflegt man zu sticken, zu wirken und zu nähen.“ (Noch 1569 wurde ein Webstuhl zu Hof gemacht.) Es werden 1565 der Herzogin Gemach, der Fräulein Gemach, die Jungfrauen-Stube, die Kinder- und Schul-Stube und der Herzogin Schneiderei genannt. – Der nördliche Flügel enthielt im oberen Stocke den schon 1569 ausgebrannten, sofort wiederhergestellten langen oder Tanz-Saal mit feinem, eingelegtem Tafelwerk, wo Prälaten und Landschaft nicht selten gespeist und bei fürstlichen Hochzeiten jene pompösen Bälle gehalten wurden, wobei dem Bräutigam wie der Braut mit Windlichtern je zwei


  1. Sieben Bücher der Hochzeit etc. des Herzogs Ludwig, nach Nic. Frischlin von Beyer. Tüb. 1598. 4.
Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Moser: Beschreibung des Stadtdirections-Bezirkes Stuttgart. Eduard Hallberger, Stuttgart 1856, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAStuttgartStadt0116.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)