Seite:OATuebingen 215.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Den ganzen Nordflügel nimmt der Bibliotheksaal ein, der ehemalige Rittersaal, 220′ lang, 50′ breit und 21′ hoch. In seinen hohen Fensternischen stehen gute Gipsabgüsse antiker Statuen. Daselbst ist auch die Schandtafel aufgehängt, welche die Namen der Ritter, 62 an der Zahl, nennt, die im Jahr 1520 das Schloß Tübingen an das Bundesheer übergaben (s. hierüber unten). In der Mitte des Saals wird, gegen das Ammerthal hin, die Mauer unterbrochen und öffnet sich hier, auf zwei reichen gebauchten Renaissancesäulen ruhend, in drei netzgewölbte rechteckige Nischen, von denen die mittlere bedeutend breiter ist und weiter hinausspringt; die Fenster dieses schönen Ausbaues sind noch die alten und bezeichnen den Übergang vom Gothischen zur Renaissance, sie haben gothisches Stabwerk, das sich oben in unterwärts gekehrten Bögen zusammenschließt und in der Mitte durch eine steinerne Sprosse getheilt wird. Diese Fenster gingen im ganzen Rittersaal umher, und wurden durch moderne große rundbogige ersetzt. Man sieht Steine von ihnen noch eingemauert an der Außenwand des Schlosses gegen das Ammerthal hin. Ähnliche nur kleinere Fenster, die alle aus der Zeit Herzog Ulrichs stammen, erhielten sich an der Innenwand des Ostflügels. Das obere Stockwerk des Schlosses, welches namentlich seit 1818 immer mehr zu akademischen Zwecken verwendet wurde, enthält im östlichen Flügel die Wohngelasse für den Professor der Physik und einiger Bediensteten, im westlichen Flügel die Wohnung des ersten Bibliothekars; die übrigen Räume sind für die Bibliothek benützt. Das östliche Zimmer des Südflügels hat eine hübsche Holzdecke, und im nächsten sind zwei zierliche hölzerne Renaissanceportale. Von den Thürmen enthält der nordwestliche, seit 1752 mit der Sternwarte versehen, im oberen Geschoß Raum für die astronomischen Instrumente, im mittleren einen schönen Saal mit alterthümlichem Getäfel, der jetzt den physikalischen Hörsaal bildet, und im ersten das Münz- und Antiquitäten-Kabinet u. s. w. (s. unten bei der Geschichte der Universität). Die Decken der Säle werden in der Mitte von je einer gewundenen Holzsäule gestützt.

In dem fünfeckigen Thurm befinden sich die oberamtsgerichtlichen Gefängnisse und die Wohngelasse des Oberamtsgerichtsdieners.

Der Thurm an der südwestlichen Schloßecke enthält die ehemalige Küche und Backanstalt. In dem an denselben anstoßenden Gebäude, die kalte Herberge genannt, einst die Wohnung des Schloßwachtmeisters, wohnt ein bei der Bibliothek Angestellter.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_215.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)