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brachte man die Westwand des Schiffes mit der Westseite des Thurmes in eine Flucht, und baute zu Seiten des Thurmes zwei netzgewölbte Emporen über einander. Der Chorbau, mit dem man begann, und den man in großen kühnen Verhältnissen und schlichten strengen Formen aufführte, gewann durch seine Stellung noch bedeutend an Großartigkeit; er schließt in halbem Achteck, wird von schlanken, oben mit einer Spitzsäule geschmückten Streben gestützt, und von hohen mit schönem Maßwerk gefüllten Spitzbogenfenstern erhellt. An den drei östlichen Strebepfeilern stehen unten je zwei Steinbilder von guter Arbeit unter reichen Baldachinen; von Süden gegen Norden: Johannes der Evangelist und Ecce homo; Maria mit dem Kinde und St. Georg; Paulus und Petrus. In der Ecke des Chors und des nördlichen Seitenschiffes führt ein schöner steinerner Schneckenthurm auf den Dachboden der Kirche.

Am südöstlichen Strebepfeiler des Chors steht die Inschrift anno dom. 1470. iar. am. 28. tag. des. merczen. ward. der. erst. stain. gelegt. an. den. kor. Das Langhaus der Kirche ward dreischiffig mit nach innen gezogenen Strebepfeilern, so daß zu Seiten der Nebenschiffe Kapellenreihen entstanden, angelegt. Laut Inschrift an der Südseite anno dom. 1478. iar. am. 29. tag. des. aprellen. ward. der. erst. stain. gelegt. an. die. syten; mit der Westwand wurde, wie schon bemerkt, herausgefahren bis in die Flucht der Westwand des Thurms und man brachte hier die steinernen auf Netzgewölben ruhenden Emporen an; diese, sowie die Netzgewölbe über ihnen, sind herausgebrochen; gegen die Nordwestecke hin steht hier: anno dom. 1483. an. sanct. urbans tag. ward. geleit. der. erst. stain. an. der. seitten.

Das Langhaus zeigt spätere und schlaffere gothische Formen als der Chor; die Güte des Stils nimmt den Jahreszahlen nach sichtlich ab. Die Fenster des nördlichen Seitenschiffes sind statt der Maßwerke mit Reliefs erfüllt, eine Anordnung die sonst nirgends vorkommt.

Im Rundfenster bei der nordöstlichen Ecke ist der h. Martin dargestellt, wie er seinen Mantel mit dem Bettler theilt, dann in den Spitzbögen der nächsten Fenster der h. Georg, wie er die Jungfrau vom Drachen erlöst, und die Krönung Mariä.

An der Ostwand dieses Seitenschiffes befindet sich in einem Rundfenster ebenfalls ein solches Relief, das sogenannte Wahrzeichen von Tübingen, der h. Georg als Märtyrer, dargestellt als Jüngling, der auf das Rad geflochten ist.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_218.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)