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Diese Reliefs zeigen sich gleich gegen außen wie gegen innen, hier haben sie noch die alte Bemalung.[1]

Der Haupteingang der Kirche ist jetzt an der Nordwand, nahe dem Chore, und mit einer großen netzgewölbten Vorhalle geschmückt, in dem Schlußstein Maria mit dem Kinde. Zu Seiten der spätspitzbogigen Pforte ist jener romanische Drache und Löwe eingemauert und an der Holzthüre noch ein eherner romanischer Thürklopfer (Pantherkopf) angebracht.

Der ehemals auf drei Seiten freie Thurm bildete einst unten eine gewölbte Vorhalle; er hat einen großen Spitzbogen gegen Süd und Nord und ein einfach schönes Spitzbogenportal gegen Osten, den früheren Haupteingang. Seine drei unteren Stockwerke sind ganz schlicht und nur mit schießschartenähnlichen Fensterchen versehen, vom vierten Stock an geht er vom Viereck ins Achteck über, was in angenehmer Weise durch vier hohe Schrägen an den sich in Spitzsäulchen fortsetzenden Ecken vermittelt wird. Die vier senkrechten Seiten sind je durch ein mächtiges schlankes Doppelfenster belebt. Dieses hohe Stockwerk, das Glockenhaus, wird von einem Kranz bekrönt, über dem ein schlanker mit Krabben besetzter achteckiger Steinhelm die Bewegung der vier hohen Schrägen weiter führt; er ist leider nur halb vollendet und kam um das Jahr 1529 durch eine geschweifte Spitzhaube mit vier Dachluckenthürmchen und einer Laterne zum Abschlusse.


  1. An das Wahrzeichen von Tübingen schließt sich folgende bekannte Sage an. Zwei Tübinger Bürgersöhne, Angehörige befreundeter Häuser, der eine ein Metzger, der andere ein Bäcker, gingen zusammen auf die Wanderschaft; der Metzger trug einen langen Dolch. Viele Jahre vergingen, ohne daß irgend eine Kunde von ihnen kam. Endlich kommt der Bäcker allein zurück und zwar im Besitz der Kleider und des Dolches seines Gefährten. Über diesen befragt, weiß er keine genügende Auskunft zu geben, und bald wird die Sage laut, der Bäcker habe seinen Kameraden erschlagen; man spannt ihn auf die Folter und nöthigt ihm das Geständnis eines an seinem Freunde begangenen Mordes ab. Der Unglückliche wird verurtheilt und mit dem Rade hingerichtet. Ohnlang hernach aber, kommt der andere vermeintlich Ermordete auch heim und erfüllt die ganze Stadt mit Reue und Bestürzung. Nun habe Kaiser Max bei einem Besuche in Tübingen von dieser traurigen Begebenheit vernommen und Befehl gegeben, zur Sühne für den unschuldig Geräderten ein Denkzeichen zu errichten. Demzufolge sei an der noch unvollendeten Kirche das Bild des Geräderten als Wahrzeichen der Stadt eingemauert worden. So schreibt Crusius und eine Archival-Handschrift.
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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_219.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)