Seite:OATuebingen 232.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

1862 in schönem modernem Rundbogenstil ganz aus Quadern aufgeführt; es ist ein großartiges zweistockiges Gebäude mit einer Pfeilerhalle gegen die Stadt und einem Aufbau in der Mitte, welcher einen Glockengiebel trägt.

Der Gemeinde gehören folgende Gebäude:

1. Das Rathhaus an der Westseite des Marktplatzes gelegen, ward im Jahr 1435 erbaut, 1698 erstmals und 1848 das letztemal erneuert; es ist ein großartiges, vierstockiges, altehrwürdiges Gebäude, dessen aus starken Eichenbalken gezimmerte Stockwerke noch die alten Fenstergruppen und dazwischen noch Malereien (dunkelgrau auf hellgrau) aus der Zeit der ersten Erneuerung zeigen. Über den Fenstern des oberen Stocks erhielt sich noch von der ursprünglichen Bemalung ein prächtiger vielfarbiger Fries (gothisches Blumenwerk). Der in reichem Zopfstil gehaltene Giebel hat eine 1511 verfertigte künstliche Uhr, welche die Stunden, den Stand der Sonne im Thierkreis und den Stand des Mondes angibt. Auf dem Giebel sitzt ein Glockenthürmchen mit der Inschrift: anno domini 1508 renovirt 1698 und 1848; über dem Thürmchen hängt in sehr schönem Schmiedeisenwerk eine weitere Glocke. An der Südostecke des Rathhauses ist am Tragbalken des ersten Stocks das Bild des h. Urban und am Eingang der Ostseite das Tübingensche Wappen mit den das Hirschhorn haltenden Armen in einem Pfosten ausgeschnitten. Das Innere des Rathhauses trägt noch das echte Gepräge eines stattlichen mittelalterlichen Gebäudes; im unteren Stockwerk enthält es das Polizeilokal, Räume für die Feuerwehrgeräthschaften etc. Früher war hier die Hauptmetzig, die Salzstube, ein Wagenspeicher und das sog. Speckkämmerchen, ein Gefängniß für Zechbrüder, Kirchenschwänzer etc. Im zweiten Stockwerke befinden sich Kanzleizimmer und ein großer Saal, die sog. Lederbühne, mit schönem Gebälk- und Säulenwerk; an letzterem kleine ausgeschnittene Wappen, die theilweise noch bemalt sind und auf die frühere Bemalung des jetzt weiß getünchten Saals schließen lassen. Das dritte Stockwerk enthält Kanzleizimmer, den Sitzungssaal für den Gemeinderath und das Gerichtsnotariat. Die alten Fenster dieses Stockwerks sind an den Zwischenbalken theilweise schön geschnitzt. In dem Zimmer des Stadtschultheißen zeigt eine gemalte Fensterscheibe das Stadtwappen mit der Jahreszahl 1556. Über dem Eingang in den Sitzungssaal ist die Justitia angemalt und dabei steht:

Die Gerechtigkeit bin ich genannt,
Dem Reich und Armen gleich bekannt,
Die Augen mir verbunden sein
Der Reich und Arm hab gleichen Schein.
 1596.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_232.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)