Seite:OATuebingen 335.png

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Malereien, welche die Kappen der Gewölbe mit heiteren Blumenranken, worauf verschiedene Thiere des Waldes sich schaukeln, erfüllen, und die Rippen selbst durch lebhafte Muster hervorheben. Auf den kleinen runden Schlußsteinen sind treffliche Darstellungen auf Goldgrund, ein herrlicher, strenggebildeter Christuskopf am Schlusse des Saals, dem beim Eingang eine segnende Hand entspricht; ferner symbolische Bilder eines Löwen, Einhorns, Pelikans, Phönix, Mose, Elias, David, Paulus und sechs musicirende Engel. Wo die Gewölberippen an den Wänden zusammenstrahlen, werden sie von schönen, auch al fresco gemalten Engeln gehalten. Die Malerei stammt aus der Zeit der Erbauung der Halle und ist für uns ein seltenes unschätzbares Vorbild für gothische Deckenbemalung. Große, zierlich gefüllte Maßwerkfenster spenden reichliches Licht; in den Zwickelchen der Maßwerke sind noch Reste farbiger Gläser. Im Spitzbogenfeld der Thüre prangt ein ebenfalls aus der Zeit der Erbauung stammendes Temperabild auf Goldgrund, Maria’s Verherrlichung durch ihre personificirten Tugenden darstellend; das bis auf die obersten Theile erhaltene Bild wurde 1862 durch Maler Bentele erneuert. Das Mittelportal des Straßburger Münsters hat dieselbe Darstellung, nur in Stein ausgeführt, über sich. Hieraus, sowie aus dem für diese Zeit schon sehr vorgeschrittenen Stile, ließe sich schließen, der Baumeister könnte der Straßburger Bauhütte angehört haben.

Am Äußern der hohen Halle fangen schlanke, einst gekrönte Strebepfeiler den Schub der Gewölbe auf. Über dem südlichen, reich gegliederten Steingiebel sitzt ein überaus anmuthiges und kühnes durchbrochenes Glockenthürmchen. Selbst der Dachstuhl, aus lauter kernhaften Eichenstämmen gezimmert, ist noch der alte und durch seine so leichte als sichere Art sehr bemerkenswerth. Das Refektorium der ersten Anlage stund auf derselben Stelle, hatte dieselbe Breite und gewiß auch dieselbe Länge, die sich schon aus dem Verhältniß ergibt, und auch eine Säulenreihe in der Mittelaxe; Spuren von Rundbögen und von den Kapitellen jener Säulen sind noch an der Nord- und Westmauer zu sehen. An dem Portale ist außen gegen den Kreuzgang hin noch das alte halbrunde Bogenfeld erhalten; es sind darin wieder mit dem Cirkel beschriebene Rosetten eingemeißelt. Von der alten Ostmauer steht nur noch der Anfang, dagegen ist die westliche Wand, so weit sie an die alte Küche stößt, noch romanisch, wie auch ihre Steinmetzzeichen beweisen; ein jetzt vermauerter Eingang führte in diese Küche; zwei niedere achteckige Steinpfeiler stützen hier den gewaltigen Rauchmantel; in ihrer Südwand befanden sich einst zwei weite flachgesprengte Schalterfenster.

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_335.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)