Seite:OAVaihingen0084.jpg

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der Schulstraße, an deren Ende die Stadtmauer durchbrochen und die Straße nach Heilbronn, an der sich nun der neue Stadttheil lagert, angelegt wurde. Die ältere Stadt war mit starken Mauern, Zwinger, Graben und Wall befestigt; erstere sind beinahe noch ganz erhalten und nur an einzelnen Stellen, um Auswege aus der Stadt zu gewinnen und einigen Gebäuden mehr Luft und Licht zu verschaffen, durchbrochen worden; dagegen ist der ehemalige tiefe Stadtgraben größtentheils verschwunden, indem derselbe ausgefüllt und zu Straßen benützt, oder überbaut wurde. An der ebenfalls mit Mauer und Zwinger befestigten Südwestseite der Stadt vertrat die Stelle des Grabens ein von der Enz abgeleiteter Kanal. An der nördlichen Seite der Stadt liefen die Mauern bis an die Vorwerke des Schlosses, wodurch dieses in den Bereich der Befestigung der Stadt gezogen war. Die Stadtmauern selbst waren durchgängig mit einem Umlauf versehen, der sich an vielen Stellen noch erhalten hat; an den Zwingermauern aber standen Halbrondele, die zum Theil erst in neuester Zeit vollends verschwunden sind. Von den Befestigungsthürmen haben sich der sog. Haspelthurm und der Pulverthurm noch erhalten, während von einem, an der nordöstlichen Stadtmauer stehenden, viereckigen Thurme nur noch die unteren Stockwerke vorhanden sind, welche früher als oberamtsgerichtliches Gefängniß benützt wurden, gegenwärtig aber als Bürgergefängniß dienen. Der an der südöstlichen Ecke der Stadtmauer stehende, im romanischen Styl erbaute Haspelthurm, welcher, schlank über die Stadt sich erhebend, derselben zur Zierde gereicht, ist rund, ziemlich hoch und mit einem später aufgesetzten, gedrückten Zeltdache versehen; unterhalb des obersten Stockwerkes läuft ein schönes Rundbogenfries und an dem 25′ über der Erdfläche angebrachten rundbogigen Eingange ist der steinerne Vortritt noch vorhanden. Durch den Eingang gelangt man in das zweite Stockwerk, dessen Fußboden eine viereckige Öffnung hat, durch welche mittelst eines gegenwärtig noch vorhandenen Haspels die Verbrecher in den untersten Theil des Thurmes (Verließ) an einer eisernen Kette hinunter und herauf gebracht wurden[1]. Von dem zweiten Stockwerke führt innerhalb


  1. In diesem Gemache war auch der als Räuber gefürchtete hier eingefangene „Sonnenwirthle" bis zu seiner Hinrichtung im Jahr 1760 eingekerkert. Derselbe hieß nicht Chr. Wolf, wie in der Oberamtsbeschr. von Göppingen S. 178. angegeben ist, sondern Friedrich Schwahn, und war ein Sohn des Sonnenwirths in Ebersbach, Göppinger Stabs. Nachdem ihn Schiller 1786 in seinem „Verbrecher aus verlorener Ehre" geschildert, wurde er neuerer Zeit Gegenstand eines deutschen Volks-Romans von Herm. Kurz in der deutschen Bibliothek, Frankfurt a. M. 1855.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Vaihingen. Eduard Hallberger, Stuttgart 1856, Seite 084. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAVaihingen0084.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)