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Memminger: Beschreibung des Oberamts Canstatt

wurde, wie vorn schon gezeigt worden, in ein evang. Dekanat verwandelt, die beyden Kirchen, die Altenburger Kirche und die Ufkirche, wurden gänzlich aufgehoben und mit der Stadtkirche vereinigt, und die große Zahl der Geistlichen wurde auf einen Stadtpfarrer und einen Helfer herabgesezt. Ein Erlaß vom Jahr 1540 befiehlt, mit dem Verkauf der Pfründ- oder Kaplaney-Häuser fortzufahren. Der erste evangelische Stadtpfarrer war Kaspar Gräter von Hall. Er wurde als solcher durch den bekannten Reformator Schnepf 1536 bestellt.

Zu Anfang des 18ten Jahrhunderts erhielt die Stadt auch eine reformirte Gemeinde. Sie entstand durch die Niederlassung französischer Flüchtlinge (Refugiés), Hugonotten, die wegen ihrer Religion in ihrem Vaterlande verfolgt, daraus flohen und in Canstatt eine Zuflucht fanden. Sie hatten zu dem Ende von der Schweiz aus mit der Regierung unterhandelt, und endlich unter dem 30. Jan. 1700 in 16 Artikeln diejenigen Zugeständnisse erhalten, welche sie zur Bedingung ihrer Einwanderung gemacht hatten. Die Artikel sind gedruckt in Sattlers Gesch. v. W. Hz. XII. Beyl. 41. Es war dieß die zweyte Einwanderung französischer Flüchtlinge; ein Paar Jahre vorher hatte sich ein Theil der aus Piemont vertriebenen Waldenser im Oberamte Maulbronn etc. niedergelassen. Nach den erwähnten Artikeln war zu erwarten, daß die Canstatter Refugiés in einer eigenen Colonie bey der Stadt sich ansiedeln werden. Dieß unterblieb jedoch, sie ließen sich in der Stadt nieder, und bildeten nur eine eigene kirchliche Gemeinde mit einem eigenen Geistlichen. Ihre Anzahl belief sich anfänglich auf mehrere Hundert, sie verminderten sich aber allmählig immer mehr, theils durch Vermischung mit den lutherischen Einwohnern, theils durch eine starke Auswanderung von ungefähr 40 Familien, welche 1733 erfolgte, als man sie in ihren Rechten und Freyheiten beschränken wollte, um dem neuen katholischen Fürsten, dem Herzog Karl Alexander, gegenüber desto mehr auch die Katholiken beschränken zu können.

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Memminger: Beschreibung des Oberamts Canstatt. J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1832, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtCanstatt145.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)