Seite:OberamtMergentheim0130.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Im Jahre 1874 wurde der Thurm abgebrochen und das Glöcklein aufs Rathhaus übergehängt, wo es seither modernen Zwecken als „Steuerglöcklein“ dient.

Eine ähnliche Sage ist die


18. Vom Lichtlein auf der Höhe.

Einst in winterlicher Zeit verirrte sich Herr Götz von Hohenlohe, von Weidmannslust getrieben, in den tiefen Waldungen, die sich gegen das obere Tauberthal hin erstrecken. Bald fand er keine Spur mehr zur Rückkehr; denn die Nacht brach herein, und der Sturmwind tobte schauerlich durch die Wipfel der 100jährigen Eichen. Da plötzlich, als ob es der Himmel ihm gesendet hätte, erblickte er auf steiler Felsenhöhe oberhalb des Münsterthales ein Lichtlein, das sich ihm mehrmals zeigte. Mit beflügeltem Schritt und voll Hoffnung eilte er dem Lichtlein zu. Bald kamen ihm zwei Wanderer entgegen, die ihn freundlich grüßten und auf den rechten Weg leiteten.

Götz aber ließ zum Dank gegen den Helfer in Nöthen auf der Höhe über dem Thale, wo ihm das Lichtlein zuerst erschienen war, eine Burg bauen. In ihrem Thurm mußte von nun an in der Nacht ein Lichtlein brennen, das nach allen vier Seiten hinleuchtete, um für jedermänniglich, der etwa in der Nacht in dieser Gegend den Weg verfehlen möchte, ein Leitstern zu sein. An die Burg bauten sich bald die Hintersaßen an und es entstand das Dorf Lichtel, zunächst an der Burg aber war das Kirchlein angebaut.

Herr Götz von Hohenlohe soll oft hinüber in dieses Kirchlein gewandelt sein, wann der Tag sich neigte und der Abend hereinbrach. Einmal suchte man den alten Herrn und fand ihn in der Kirche im Betstuhl, seine Augen gen Himmel gerichtet, aber sie waren im Tode gebrochen. Das ewige Licht hatte ihm geleuchtet zum Wege in die wahre Heimat.

Burg und Dorf hieß man Lichtel = Lichtthal, d. h. Licht über dem Thale. Im ganzen Bezirke sagen die Leute noch jetzt nicht „Lichtel“, sondern „Lichtle“. (Sch. II, S. 164.)


19. Der weiße Hirsch.

Graf Gebhard von Hohenlohe, genannt „vom Neuen Haus“, ein leidenschaftlicher Jäger, ritt am heiligen Christfest früh Morgens trotz der freundlichen Bitte seiner Gemahlin, der Frau Abelheid, mit ihr zuvor dem Rufe des eben zum Gottesdienst läutenden Glöckleins zu folgen, unter Hohnlachen rufend: „was Glöcklein, was Christfest! mögen andere für mich beten!“ auf die Jagd. Je ergiebiger die Jagdbeute wurde, um so weniger konnte der Graf satt werden an der Lust des Jagens. Da, als schon die Abendsonne ihre spärlichen Strahlen auf die Wälder herabsandte, ritt Gebhard ein wenig seitabwärts von seinen Genossen. Im Lichte der Abendsonne blinkte ihm hinter dem Gebüsche etwas Weißes entgegen, als er näher ritt, sprang ein Hirsch vor ihm auf, von blendend weißer Farbe, desgleichen er noch nie einen gesehen hatte. Schnell legte der Graf an, aber wie er den Bogen spannte und zielte, da war auf einmal der Hirsch spurlos verschwunden.

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Mergentheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtMergentheim0130.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)