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Schon wollte er unmuthig seinen Bogen sinken lassen – siehe da! in weiter Entfernung wieder etwas Weißes hinter dem Gebüsch, dann wieder ein Geräusch und derselbe Hirsch von blendender Weiße stand auf und huschte durch Gebüsch und Zweige. Wieder legte der Graf an und zielte, aber wieder war der Hirsch aus seinen Blicken verschwunden, um sich ihm dann plötzlich wieder in weiterer Entfernung zu zeigen.

Nach langer Verfolgung stieg er endlich völlig erschöpft von seinem abgehetzten Pferde und entdeckte zu seinem Schrecken, daß er ganz und gar vom Wege abgekommen war. Mißmuthig warf er sich nieder auf den eiskalten Boden und da er nichts hatte, seinen brennenden Durst zu stillen, so stieß er ins Hifthorn, doch der Klang verhallte ungehört von seinen ihren Herrn in ganz anderer Richtung suchenden Dienern.

Endlich erhob er seine erschöpften Glieder, um eine Quelle oder ein Bächlein aufzusuchen. Den Zügel des Pferdes in den Händen schleppte er sich immer weiter, aber er fand nichts, daran er sich hätte laben können. Wohl eine Stunde mochte er sich durch Dornen und Gesträuch, über Stock und Stein durchgerungen haben, da zeigte sich auf einmal wieder der weiße Hirsch. Doch nicht mehr hatte der Graf Lust, den Bogen zu spannen, dieweil er so oft geäfft worden war. Er gieng zu der Stelle, wo der Hirsch aufgesprungen war und siehe da, eine Quelle sprudelte daselbst. In dem Augenblick, da der Graf sich niederbeugte, um seinen trockenen Gaumen zu laben, hörte er aus der Ferne ein Glöcklein tönen. Er folgte dem Klange des Glöckleins längs einem Bächlein, das jener Quelle entsprang, und als dritter Wegführer glänzte vor ihm der weiße Hirsch, welcher jetzt wieder erschien und ihm treulich voranschritt. Auf einmal verschwand der Hirsch, und der Graf befand sich am Klösterlein der geistlichen Frauen zu Wachbach. Hier hatte man nach Mitternacht die Messe geläutet, um die Nonnen in den Chor zum Gebet zu versammeln. Gerne gaben ihm die geistlichen Frauen einen sichern Führer mit, der den Grafen wohlbehalten auf die Burg Neuhaus zurückbrachte.

Seit jenem Tag sah man den Grafen nie mehr wieder weder an einem Sonntag, noch gar an einem Festtag auf die Jagd reiten, um so fleißiger begleitete er seine Gemahlin in die Kapelle.

Aber auch der Nonnen zu Wachbach, von denen jenes leitende Glöcklein zu guter Stunde geläutet worden war, gedachte der Graf voll Dankbarkeit, er besuchte sie bald darauf mit Frau Adelheid, und beim Abschied legte er in die Hand der Priorin ein großes Pergament, darauf zierlich und deutlich geschrieben stand:

„All und jedmänniglich, so dies lesen, sei kund und zu wissen, daß ich Graf Eberhard von Hohenlohe, genannt vom Neuen Haus und mein ehelich Gemahl Frau Adelheid mit gutem Willen und wohlbedachtem Rath den ehrsamen geistlichen Frauen des Klosters zu Wachbach zu einem jährlichen Almosen vergebe: 36 Pf. Heller, 1 Malter Korn, 3 Malter Haber, 1 halbes Malter Käse, 4 Hühner etc. So gegeben auf Burg Neuhaus am St. Vinzentitag im Jahre 1282.“ (Sch. II, S. 43 ff.)

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Mergentheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtMergentheim0131.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)