Seite:OberamtMergentheim0494.jpg

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auf seiner ursprünglichen Stelle, auf einer gothisch durchbrochenen steinernen Mensa, umgeben noch von dem alten starken hölzernen Geländer, an dessen vier Ecken Fialchen aufsteigen. Er ist berechnet für diese Stelle und dieses Licht, das er bei weit geöffnetem Westportal vollauf, wenn auch leise gedämpft, und zwar von unten, empfängt, und das in seiner mild verschleiernden Wirkung diesem so zarten Werk erst die richtige Weihe giebt. Versetzt ins grelle Tageslicht, fällt ein Hauptreiz desselben. Ein ähnlicher Altar muß in der Laudenbacher Bergkirche gestanden haben; dieselben waren bestimmt für die Wallfahrer, die weit daherziehend über Strom und Thal nun plötzlich an der offenen Hauptpforte dieser einsam stehenden Kirchen, wie durch ein Wunder des Himmels, entzückt wurden. – Der Meister des Creglinger Marienaltars ist ohne allen Zweifel der größte Bildkünstler des dortigen Frankenlandes, der hochberühmte in Würzburg thätige Tilmann Riemenschneider, und zwar ist es eines seiner innigsten Werke. – Dr. Bunz fand im Innern der hohlen Maria des mittleren Altarfeldes die Jahreszahl 1487 (W. F. 6, 302). 1

Für Tilmann Riemenschneider sprechen die weiche Haltung der Figuren, die reich- fast zu reichgelockten Köpfe mit dem schwärmerisch schwermüthigen Ausdruck, die vielgeknitterten und doch großartig gelegten Gewandungen; dabei ein gewisser edler Naturalismus; man vergleiche damit nur die urkundlich von Riemenschneider gefertigten steinernen Apostelstatuen an der Marienkirche zu Würzburg. Auch habe sich, wie genaue Kenner versichern, der Meister selbst abgebildet in jener Darstellung in der Predella des Altars: Christus als Knabe im Tempel; hier steht er als einer der aufhorchenden Lehrer hinter dem auf dem Stuhl sitzenden, sein Gesicht ist bartlos, breit, knochig; ähnlich stellte er sich als Nikodemus dar an der Beweinung Christi (Hochrelief in Sandstein) in der Kirche zu Maidbrunn; auch auf seinem Grabstein, jetzt im historischen Verein zu Würzburg, ist uns sein Bildnis erhalten (vergl. C. Becker, Leben und Werke des Bildhauers Tilmann Riemenschneider. Leipzig, Rudolf Weigel, 1849). Geboren zu Osterode im Harz, kam er als Geselle auf der Wanderschaft nach Würzburg und wurde dort im Jahr 1483 in die Lukaszunft der Maler, Bildschnitzer und Glaser aufgenommen. Er fertigte eine große Menge hochgeschätzter Werke in Holz und Stein; Würzburg, Volkach, Heidingsfeld, Bamberg, Maidbrunn, Rothenburg stritten um Arbeiten des Meisters. Im

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Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Mergentheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtMergentheim0494.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)