Seite:OberamtTuttlingen0131.jpg

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ein lebendiges Mitgefühl mit der Natur, dem Thierreich, der Kinderwelt, Wohl und Wehe des Menschen. Die Kehrseite ist die Konventionalität dieses Tones, welche manchmal die Form für die Sache, den Schein für die Wahrheit bieten mag, wogegen die Wahrheitsliebe wieder in allerhand Selbstironie und Neckerei Kritik übt (vgl. das Grüßen). Neben einem reichen Wortschatz zeigt sich in der Sprache noch fortbildende Kraft, und das Gefühl von ihrem poetischen, sinnlich bildlichen Charakter lebt noch im Volke, es weiß die Mittel der Sprache auszunützen zum kraft- und ausdrucksvollen, mannigfaltigen, schlagenden, scherzenden, klagenden, schmeichelnden, scheltenden Reden, je nach Bedürfnis. Eine reiche Leiter von Redefiguren ließe sich anfertigen, die der Mann des Volkes weit häufiger und sicherer anwendet, als der Gebildete, weil er weniger logisch als poetisch redet. So die Ellipse: in’s Michels (Haus), der Pleonasmus häufig mit Alliteration: hoffen und harren, bitten und beten; der Tropus: unbehauen für roh; die Metonymie: Dorf, Stadt für Bevölkerung derselben, Rathhaus für Gemeinderath, Kirche für Gottesdienst; Synekdoche: Vogel für alles was kreucht und fleucht; Hyperbel: alle Welt, die ganze Gemeinde für einen Theil derselben; Vermeidung unnöthiger Komposita: liefern für abliefern, stiften für aufstiften, seilen für mit dem Seil bearbeiten, namen für mit Übernamen versehen, Kinderschule für Kleinkinderbewahranstalt, Waisenhaus für Verwahrlostekinder-Erziehungsanstalt, Schultheiß für Stadtschultheiß, Lehrer für Schullehrer (was nicht etwa als größere Ehre anzusehen ist); umgekehrt die reiche Komposition der Adjectiva mit vorgesetztem Substantiv, die das Hochdeutsche nur sparsam aufgenommen hat (z. B. spottwohlfeil, blutarm, kaum noch: steinreich, mausetodt), deren Mangel es besonders arm gegenüber der Volkssprache erscheinen läßt. Dahin ferner die naive Anpassung fremder oder fremdartiger Wörter: Lohkalk für Chlorkalk, Markt für Mark, Nickel für Zehnpfennigstück mit geringschätzigem Seitenblick, vielleicht auch Badischêr für Passagier. In dieser freieren Bewegung ist auch begründet, daß man den Einzelnen mehr an seiner Sprache kennt, daß Einzelne und wohl auch Familien ihre mehr ober weniger eigenthümliche Sprache haben, die wiederum zur Neckerei oder zu Übernamen führt, so daß z. B. einer Strafmich (Strofme) heißen kann, wie im Mittelalter ein Fürst Jasomirgott genannt wurde. – Neben der Poesie der Sprache kommt die eigentliche Dichtung in Betracht und es erhebt sich die Frage: hat unser

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tuttlingen. H. Lindemann, Stuttgart 1879, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtTuttlingen0131.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)