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Der Kirchenzug gestaltete sich folgendermaßen: Voran eine Anzahl der weiblichen Jugend mit Kränzen und weißen Schürzen, dann die Ehrenmägde, die jetzt ganz schwarz wie die Braut gekleidet sind; dann die Braut mit dem Brautführer (jetzt mit dem Bräutigam), hernach der Bräutigam mit den Ehrengesellen zur Rechten und Linken, hierauf die Hochzeitmütter oder ihre Ersatzfrauen, die stets schwarz gekleidet sind. Den Schluß bilden die übrigen weiblichen Hochzeitgäste. Nach den Weibern kommt der Männerzug, voran die Hochzeitväter, die ehedem schwarze Mäntel trugen.

Waren die Brautleute ledig und die Braut eine Jungfrau, so gieng’s nach der Kirche sogleich in’s Wirthshaus. Dort hatte der Brautführer das Recht, die ersten drei Tänze mit der Braut zu tanzen, dann gieng man in’s Haus zurück und dann erst in’s Wirthshaus zum Hochzeitmahl.

Von Gebräuchen, die sich auf den Ackerbau etc. beziehen, ist erwähnenswerth: In Weilheim ist bei den Dreschern das „Pflegelschießen“ Sitte. Einer nimmt den Pflegel und wirft ihn durch den untern Durchzug der Decke, d. h. den Balken der die übrigen trägt, wer ihn zuerst hindurch bringt, hat gewonnen. (B.)

Wer beim letzten Drasch den letzten Flegelschlag thut, heißt in der Tuttlinger Gegend der Butz und muß seinen Mitdreschern einen Schoppen Branntwein bezahlen. (B.)

In und um Weilheim wettet man gern beim Dreschen, so muß Einer mit einer Hand 3 Flegel, ohne sie auf den Boden kommen zu lassen, tragen und obendrein in derselben Hand einen Laib Brot und darauf eine Maß Wein. Kann er das in der Scheuer ohne Anstand herumtragen, so hat er die Wette gewonnen. (B.)

Wenn Flachs oder Hanf im Freien gebrochen wird und ein Herr an den Brecherinnen vorüberkommt, so tritt ihm gewöhnlich eine entgegen, hält ihm eine Hand voll Hanf schüttelnd und ausbreitend vor und spricht (z. B. in Fridingen):

Hier schüttli meini Ägle (Ägna)
Die Herra nehm i g’fanga
G’fanga müeßet se sei,
Bis se langet in Sack nei.
Dent se mer ebbes spendira,
So laß i se passira;
Spendiret se aber nint.
So bleibet mer doch guot Fründ.     (M.)

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tuttlingen. H. Lindemann, Stuttgart 1879, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtTuttlingen0149.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)