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Besuch massenhaft und halfen die benachbarten Geistlichen aus. 11. Nov. 1664 wurde die Mariahilfbruderschaft und zugleich die Scapulierbruderschaft eingeführt, gleichzeitig der Kirche alle Rechte einer ordentlichen Pfarrkirche verliehen. Die Wallfahrer kamen bis von Burgund. Eine Menge Gedenktafeln zeugten vom Aufblühen der Andacht. 1754 wurde die alte Kirche abgebrochen und 1756 stand bereits die neue, welche 56.000 fl. gekostet haben soll. Sie war 150′ lang, 60′ breit, im (wahrscheinlich flachen) Gewölbe 65′ hoch, mit fünfseitigem, gewölbtem Chor, 130′ hohem Thurm, in einfach edlem Renaissancestil, aber mit prächtiger Ausstattung. (Der Originalaufriß bei Wieser). Die Eiche bildete den Mittelpunkt des Altars. Die Wallfahrt genoß seit 1668 die Einkünfte von Stetten und der Lippachmühle (s. Stetten). 1715 bis 1732 petitionirte Enzberg vergeblich beim Lehensherrn um die Rückgabe dieser Besitzungen. Sodann Prozeß, welcher 15. Mai 1748 beim k. Landgericht Wangen, 12. Mai 1758 (!) vom k. Reichskammergericht Wezlar zu Gunsten des Klägers entschieden ward, worauf 30. Mai 1759 endlich die Zurückgabe erfolgte, die Liquidation des zu viel Empfangenen aber aufgeschoben blieb. Die Enzbergischen Beamten rechneten von den 91 Jahren des Genusses einen Überschuß von 39.207 fl. 46 kr. Kapital und Zins heraus, was die Wallfahrt unmittelbar nach dem großen Kirchenbau nicht hätte zahlen können. Daher wollte Enzberg auch nur allmählige Abzahlung. Die Wallfahrt erklärte sich aber auch hiezu außer Stand und Willen. Ihre Opferstockeinnahmen betrugen 1761–66 153 fl. 30 kr. jährlich, 1783–1801 nur noch 57 fl. 35 kr. im Jahr. Von sonstigen Einnahmen ist nichts bekannt, auch war nur ein gestifteter Jahrtag vorhanden, außerdem die Stiftung des Pfarrers Fr. Jos. Bekli zu Walpertshofen, zuletzt Direktor an der Wallfahrt, von 1744, mit 10.000 fl. zur Besoldung des Direktors. 1790, als Enzberg die Kirche zu Mühlheim zu bauen hatte, war die Forderung auf 101.949 fl. gestiegen; die Wallfahrt erklärte aber blos ein Kapital von 9632 fl. 51 kr. zu haben. Die Gläubiger begnügten sich mit 12.000 fl., hievon aber zahlte die Wallfahrt blos 2500; 2500 wurden auf die Pfarrpfründe Mühlheim, 5000 auf die Kirchenstiftungen daselbst, 1500 fl. auf die Pfarrpfründe Böttingen, 500 fl. auf die Muttergotteskapelle zu Nendingen gewälzt. Zur Erbauung der Pfarrkirche in Mühlheim wurden sofort auf Pfandschaft der Stiftungspflege 8. Jan. 1793 bei der Universität Tübingen 10.000 fl. aufgenommen, woran die Wallfahrt ihre 2500 fl. 1795 abzahlte. Kaum war Mühlheim württembergisch geworden, so erfolgte die Katastrophe der Wallfahrt: 31. Dez. 1805 mußte die Verwaltung dem Kath. Geistl. Rath eingestehen, daß sie außer ihren in Württemberg stehenden Kapitalien kein weiteres Vermögen besitze, der Grundstock schon nothgelitten habe. Dem Ansuchen der Pfarrei Mühlheim, sie von der ihr überwiesenen Schuld von 2500 fl. zu befreien, wurde alsbald entsprochen, der Verwaltung die Bezahlung der Zinsen an die Universität Tübingen auferlegt, wozu sie außer Stand war. Jetzt wagte nur noch der Gemeinderath von Mühlheim beim geistlichen Ministerium für die dem Untergang geweihte Anstalt zu bitten. Vergebens, 16. Juli 1811 verfügte der Geistl. Rath ihre Aufhebung. Nur die Beigabe eines Vikars für die Stadtpfarrei mit 300 fl. Beitrag aus dem Wallfahrtsfonds erinnert noch an ihren Bestand. Denn die Kirche wurde auf den Abbruch verkauft. Ende

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tuttlingen. H. Lindemann, Stuttgart 1879, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtTuttlingen0389.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)