| Carl Eduard Kirmsse: Ein offener Brief an Herrn Dr. Karl Bock, sein Votum in Angelegenheiten der Medicinalreform in Sachsen betreffend | |
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zu fungiren und dürfen mit einer grossen Reihe heroischer Mittel, die sie zum Leidwesen der Apotheker im Hause zu haben berechtigt sind, schalten und walten, wie es ihnen gut dünkt.
Mit solchen Waffen ausgerüstet stellen sie, wenn die Krankheit wüthet, allerdings vollkommene Ruhe wieder her. Chemie und Physik sind ihnen indessen böhmische Dörfer; das ihnen etwa vorgezeigte Plessimeter halten sie für das Werkzeug eines Huf- und Waffenschmiedes; das Stethoscop sehen sie für eine Clarinette ohne Mundstück und das Mikroscop für eine Bassgeige an. Die pathologische Anatomie ist ihnen blos eine „Lehre von den todten Körpern“; und ich will es ad oculos beweisen, dass Keiner von denen, die ich kenne, eine einfache Section machen kann. Und wo bleibt bei Solchen die Kenntniss, die aufgefundenen Veränderungen in der Leiche gehörig zu beurtheilen? – Bei alledem aber sind sie gelehrig für grosse Herren und kennen in vorkommenden Fällen die Dankbarkeit aus dem Fundamente. Höre es, Vater Asklepios, solche Leute nennen sich Deine „examinirten und approbirten“ Jünger! Hört es, ihr armen Kranken, solche Leute wagen es, mit einer selbst zusammengesudelten Arznei sich zu Herren über Leben und Tod zu machen! Wachet auf, ihr Schläfer! und sehet, wie ein böses Gewürm an der Wurzel eures Lebensbaums herumnagt, wachet auf! denn so wird euch nicht alle Tage vorgepredigt. Sie aber, Herr Professor, haben ganz Recht, wenn Sie sagen: „Das kommt daher, weil die, welche da reden könnten und sollten, stillschweigen um des eignen Vortheils und um der Furcht willen, und weil die, welche Macht haben, zusammenhalten, damit die neue Generation nicht aufkomme.“ Doch genug davon.
Was die von Ihnen gegebene Beschreibung des Wesens der Medicin anlangt, deren Anhänger nach Ihrer Meinung vorzüglich die mittlere Generation der sächsischen Aerzte sind, so haben Sie, wenigstens zum Verständniss des Laien, dabei zu erwähnen unterlassen, dass es bei diesem Standpuncte der Heilkunde schon eine Anatomie, Physiologie und pathologische Anatomie gegeben hat, auf die man
Carl Eduard Kirmsse: Ein offener Brief an Herrn Dr. Karl Bock, sein Votum in Angelegenheiten der Medicinalreform in Sachsen betreffend. Julius Helbig, Altenburg 1846, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Offener_Brief_an_Karl_Bock.pdf/9&oldid=- (Version vom 14.10.2025)