Seite:Onkel und Neffe 1 18.jpg

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des alten Herrn unwiderstehlich fand, sagte er:

„Sieh, Onkel, was die Tante kann, die doch nur ein Frauenzimmer ist, mußt Du doch auch können, und dann – es ist ja Alles so lange her, daß – nicht wahr, so heißt es? – Gras darüber gewachsen sein könnte."

Der Alte lachte nur über das altkluge, männlich-selbstbewußte „nur ein Frauenzimmer", – aber wenn er seinem Empfinden auf den Grund gegangen wäre, würde er wohl die Entdeckung gemacht haben, daß es ihm sehr lieb war, über diese naive Aeußerung lachen zu können; die aufquellende Weichheit ließ sich ja so am besten verbergen. Robert verstand dies Lachen nicht zu deuten – er sah nur, daß die Tante sich hastig die Augen trocknete und zur Seite sah; diese kerngesunde, tapfere Mädchennatur war die echte Schwester ihres Bruders – sie gehörte zu den Menschen, die eine zarte Scheu der Seele bestimmt, ihre Gemüthsbewegungen zu verbergen und mit ihren Thränen zu kämpfen, so lange es nur irgend geht, die lieber gefühllos, als allzu gefühlvoll erscheinen wollen und sich selbst in den Stunden des Alleinseins die aufsteigende Thräne im Auge zerdrücken, als sei es eine Schwachheit, zu weinen. Robert unternahm also einen Sturm, der mehr von Rath- und Hilflosigkeit, als von Zuversicht zeugte.

„Onkel, lieber Onkel", bat er, „kannst Du Dich denn gar nicht wieder mit dem Onkel Ferdinand vertragen? Siehst Du, ich will gar nichts zu Weihnachten haben, nicht einmal einen Baum, ich will auch gerne Alles hergeben, was aus Dresden gekommen ist; trag' Alles, Alles fort und vertheil' es unter die Dorfkinder, aber sag dem Onkel, daß er zu uns kommen soll, und wenn er kommt, gibst Du ihm die Hand und bist nicht mehr böse auf ihn." Es war ihm sehr ernst, bitter ernst mit seinem Anerbieten, – das Opfer, welches er bringen wollte, erschien ihm so groß, daß ihm die hellen Thränen in die Augen schossen und daß er bitterlich zu schluchzen begann. Er hatte des Onkels wettergebräunte Hand erfaßt und sich tief auf dieselbe herabgebeugt, halb beschämt, halb in Furcht vor einem ernsten Tadelswort; er beugte seinen lockigen Kopf noch tiefer, als er fühlte, wie sich des Onkels andre Hand auf denselben legte, und er wagte nicht früher aufzublicken, als bis der Onkel, sich mühsam zusammennehmend und doch mit einem schier verdächtigen Beben und Aussetzen der Stimme sagte:

„Na, laß nur gut sein, Junge – sollst Deinen Willen haben – es ist doch Alles Eins – und am Ende habt ihr Recht. Du willst auf Deine Bescheerung verzichten – so will ich denn meinen Groll drangeben; er soll mir nicht mehr werth sein, als Dir Deine Christgeschenke, und Du sollst Dir den neuen Onkel, den Du Dir so theuer erkauft hast, nun auch selber holen."

Robert schrie laut auf: „Onkel, herzensguter, bester Onkel, ist es denn wahr? Tante, Tante, hörst Du denn nicht – der Onkel Ferdinand soll kommen und holen soll ich ihn – ja, aber wo ist er denn? Ist er in der Stadt? – Wird der Schlitten angespannt? Dann nehmen wir aber den Rustan und die Sascha, die laufen am besten und sind ausgeruht, und nicht wahr, sie bekommen die blau und weißen Federbüsche auf den Kopf?"

Die Tante hatte sich dem alten Herrn, von Freude und Dankbarkeit überwältigt, an die Brust geworfen, er schob sie aber ruhig zurück und sagte mit wieder angenommener Rauhheit:

„Mach's kurz, Theres, und weine mir nichts vor – ich kann's nicht leiden, wie Du weißt. Du hast ja nun Deinen Willen; aber wenns der Robert, der Blitzjunge, nicht gar so beweglich gemacht hätte, wär' wohl nichts daraus geworden. Wer soll dem Tausendsakermenter etwas abschlagen? Ich brings nicht fertig."

Die Tante lächelte durch Thränen. „Daß Du Dich doch immer schlechter machen mußt, als Du bist! Als wenn Dirs jetzt nicht ordentlich leicht und wohl wäre, und als ob Du dem Robert nicht mit Freuden nachgegeben hättest! Aber denk nur nicht, daß ich Dich nicht auch kenne, Alter – dazu leben wir doch zu lange beisammen."

„So, jetzt redest Du Dir wohl auch noch ein, daß ich Dir nachgegeben hätte? Fräulein Theres, das wäre ein Trugschluß, laß Dir das für zukünftige Fälle gesagt sein." Und der Alte wendete sich zu Robert, der sich Hals über Kopf und in froher Verwirrung reisefertig gemacht

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_18.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)