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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

Rasputin blickt den in Ohnmacht Daliegenden lange und starr an und dann betet er, daß es klingt, als heule irgendwo ein erschreckter Hund in stürmischer Winternacht:

„Warum, Du Sünder, flehst Du nicht selbst voll Inbrunst Gottes Hilfe an? Warum bittest Du nicht aus der ganzen Tiefe Deines Herzens: Nimm die Krankheit von mir und schenke mir Kraft, damit ich Deine Größe und Heiligkeit preisen und loben kann in Ewigkeit. Wache auf und bete so, wie ich für Dich zu Gott gefleht. Wache auf!“

Und der Bewußtlose fängt wirklich an sich zu regen, schlägt groß verwunderte Augen auf, greift mit beiden Händen nach seinem Herzen und beginnt zu beten, wie ihm geheißen.

Ein anderer meiner Bekannten, der russische Kritiker Ismajlow, wußte wieder folgendes zu erzählen:

„Nach großer Mühe gelingt es mir, bei Rasputin vorzusprechen. Obgleich ich ein Interview mit ihm haben will, schütze ich vor, über gemeinsame Wolgafreunde mit ihm sprechen zu wollen.

Eintretend sehe ich ihn in einem Armstuhl sitzen, seinen Blick durchdringend auf mich gerichtet.

Mit einem Lächeln voll Nachsicht flüstert er:

„Ihr seid Journalist, warum wollt Ihr mich irreführen?“

Dann schweigt er.

Ich bin ebenfalls vor Betroffenheit ganz wortlos, zumal ich Rasputins Widerwillen gegen Journalisten, die ihm zuweilen arg an den Leib rückten, wohl kannte.

„Über mich werde ich nicht zu Dir reden“, beginnt endlich nach langem Schweigen Rasputin, „aber ich will Dir manches über Dich selbst sagen. Als Du elf Jahre alt gewesen, warst Du vom Tode bedroht. Ich sehe den Tod fliehen, mannshoch über der Erde. Wie war das, berichte mir!“

Und der nun noch mehr betroffene Ismajlow muß wirklich eingestehen, daß er gemeinsam mit seinem Bruder im eigenen Gemüsegarten auf Hasenjagd aus war. Zwischen den Beeten gehend, stolperte er und fiel zu Boden. Das war seine Rettung, denn gleichzeitig schoß der Bruder auf den aufgescheuchten Hasen und er entging durch den Fall knapp der tödlichen Kugel.

Dann nach diesem Eingeständnisse verabschiedete Rasputin den Journalisten mit der Warnung:

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/136&oldid=- (Version vom 14.9.2022)