Seite:Pahl Ueber die Liebe unter dem Landvolk.pdf/18

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Aber man küßt sich nicht öffentlich, selbst kaum beym Tanzen, wo man sich doch die grösten Freiheiten erlaubt, und zieht sich auch bey diesem Genuß der Liebe so viel möglich in die Einsamkeit zurük. Wenn die Vornehmern auf dem Dorfe sich öffentlich nur den gewöhnlichen Abschiedskuß geben, so machen sich die Leute Wochenlang in ihren Klubs darüber lustig, und nichts ist ihnen lächerlicher, als wenn Mann und Mann, Weib und Weib sich küssen. Auf dem Lande ist aber der Kuß nicht nur eine flüchtige Berührung der Wangen; sondern eine feurige Hinschmiegung an die Lippen des Mädchens, ein ungestümmer Druk, ein heftiges, anhaltendes Zusammenpressen der Wangen – freier, ungehemmter, kraftvoller Ausdruck der Liebe, den manche schwächliche, durch Erziehung und Lebensart entnervte Schöne in der Stadt, kaum auszuhalten vermöchte – Am Arm wird man den Dorfjungen sein Mädchen höchst selten führen sehen, sondern immer an der Hand. So zieht er mit ihr an der Kirchweih in die Schenke, und am Jahrmarkt aus der Stadt zurük. Er thut es nicht um sie im Gehen zu erleichtern, sondern nur weil er sich an ihrer Seite, und berührt von ihrer Hand, glüklich fühlt. Ja im

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Pahl: Ueber die Liebe unter dem Landvolk. In: Die Einsiedlerin aus den Alpen, 3. Band, 8. Heft, S. 128–153. Orell, Geßner, Füßli & Comp., Zürich 1793, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pahl_Ueber_die_Liebe_unter_dem_Landvolk.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)