Seite:Pahl Ueber die Liebe unter dem Landvolk.pdf/20

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welche bey dem grösten Theil derselben Festigkeit und Ausharrung nicht gedeihen lassen. Es ist höchst selten unter den Liebenden von Ehe und Heirath die Rede; etwa zuweilen ein geheimer – mit unter auch hie und da ein lauter Wunsch, der aber nie so stark wird, daß er bis zur Ausführung reifen könnte. Liebe betrachtet man als Genuß des ledigen Standes; Ehe als Sache ökonomischer Spekulation. Gedeiht hie und da ein Eheverspruch, so kostet es Eltern und Vormünder nur ein Wort, und er ist wieder zerstört. „Er kann sein Mädchen zum Tanze führen – heißt es dann – dagegen haben wir nichts; aber die Wahl des Weibes soll er uns überlassen. Der Bube ist leichtsinnig, und ränne geradezu ins Verderben hinein“. Eben um deßwillen bringt auch Treue keine Ehre; ja wohl oft das Gegentheil. Denn der Junge der ein armes Mädchen nimmt, wenn er eine reichere haben könnte, ist nach dem Urtheile des ganzen Dorfes ein Narr. Man ist des Dings auch nun schon so gewöhnt, daß man sich eben sehr viel nicht daraus macht, wenn man den Gegenstand seiner Liebe verliert. Nagt in diesem Falle auch Gram am Herzen, so würde man die Spottsucht des ganzen Dorfes reizen, wenn man ihn äusserte.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Pahl: Ueber die Liebe unter dem Landvolk. In: Die Einsiedlerin aus den Alpen, 3. Band, 8. Heft, S. 128–153. Orell, Geßner, Füßli & Comp., Zürich 1793, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pahl_Ueber_die_Liebe_unter_dem_Landvolk.pdf/20&oldid=- (Version vom 1.8.2018)