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Alfred Kerr (Hrsg.): Pan (25. Oktober 1912)

schauen mir feindselig ins Gesicht, einige grüßen sogar, ohne sich jedoch in ihrer Gesinnung von den anderen irgendwie zu unterscheiden. Mein Tisch wird streng gemieden; aber bald ist es eine Insel in dem Raum, den ich durchaus zu überblicken vermag und der sich rasch mit Besuchern füllt. Jetzt kommt die Schar jener flüchtigen Gäste, Familien, die hier nichts zu suchen haben, doch immerhin das Café auf ein Stündchen mit ihrer Anwesenheit beehren. Man lagert sich rechts und links an meine Seite, und wie durch Hexerei bin ich plötzlich nur das geduldete, ja unwillkommene Mitglied einer mir gleichgiltigen Gesellschaft. Man macht allerdings vergebliche Versuche, mich in ein Gespräch zu ziehen. Ich lasse mich nicht verwirren, sehe niemanden an und behalte den Eingang im Auge. Eine mittelgroße, schlanke Gestalt kommt herein, Eva H., mit Federboa und schwarzem Hut. Wie seltsam, daß ich ihren Namen weiß! Meinen hat man ihr wohl desgleichen hinterrücks genannt, denn man pflegt sich hier über alles Wissenswerte gegenseitig aufzuklären. Ich könnte wetten, daß man es dabei nicht verabsäumt hat, mich, den hoffärtigen Menschen, ins rechte Licht zu rücken. Sie geht langsam und unsicher zwischen den Stuhlreihen hindurch, sucht wahrscheinlich irgendwen. Hoffentlich läßt sie ihre Kurzsichtigkeit die Köpfe nicht bemerken, die sich nach ihr umdrehen; es fröstelt mich, wenn ein Kellner an sie streift. Ich muß gestehen, daß ich vor einigen Tagen ohne Grund manches an ihr auszusetzen hatte. Ihr Gang, zum Beispiel, gefiel mir nicht, doch ich war in einer Täuschung befangen.

Jetzt sollte ich mich allen Ernstes über das Gedränge, das einem hier sonst den Aufenthalt verleidet, freuen. Man schreit, gestikuliert; und unter dem Nicken der Frauenhüte darf ich meine Beobachtungen anstellen, solange es mir irgend beliebt. Fräulein Eva ahnt gewiß nichts davon, daß ich sie über einige Tische hinweg anstarre. Ich halte mich übrigens für den Fall, daß sie hersehe, bereit, meinem Blick rasch eine andere Richtung zu geben, doch damit hat’s keine Not. Sie kümmert sich weder um mich, noch, wie mir scheinen will, um ihre zahllosen, aber flüchtigen Bekannten, die sie eilfertig begrüßen. Daß ich hier nichts Besseres zu tun finde, als mich mit ihr zu befassen, ist nicht weiter verwunderlich. Sie ist nämlich unter den vielen die einzige, die weder geschmacklos gekleidet ist, noch lärmt oder sich aufdringlich benimmt. Sie liest Zeitungen oder spricht mit einem alten Herrn, der ihr Gesellschaft leistet. Dieser Herr macht einen guten Eindruck auf mich. Er hat schöne lange graue Haare, sieht vornehm und freundlich aus. Ab und zu unterhält sie sich auch mit einem jungen Menschen, der eine Brille trägt

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Alfred Kerr (Hrsg.): Pan (25. Oktober 1912). Hammer-Verlag G.m.b.H., Berlin 1912, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pan_(25._Oktober_1912).djvu/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)