Seite:Pfaff Maerchen aus Lobenfeld.djvu/2

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gedient hat noch dienen wird. Noch grösser ist der Unterschied zwischen den Strassenortschaften und den Dörfern des kleinen Odenwalds Haag, Schönbrunn, Moosbrunn , Michelbach, Reichartshausen, und denen des Baulands Spechbach und Epfenbach. In all diesen seitab dem Verkehr liegenden, der Bodenbeschaffenheit ihrer Gemarkung und den ererbten Verhältnissen nach fast ausschliesslich vom Getreidebau lebenden Dörfern wohnt auch heute noch ein tüchtiger, sesshafter Bauernstand, den bisher die von Neidenstein, Rohrbach, Sinsheim, Hoffenheim anrückenden Handelsleute vergeblich zu untergraben bemüht sind. Freilich vieles Alte ist auch dort schon dahingegangen. Das Spinnrad hat fast ganz seine Thätigkeit eingestellt und der Kienspan leuchtet nicht mehr zu den „Vorsetzen“, den abendlichen, von Haus zu Haus wechselnden Zusammenkünften, in denen neben der leichten Arbeit gesungen und erzählt wird.

Es ist nicht ohne Bedeutung zu beobachten, welche Gattung von Volksüberlieferungen an einem Orte noch in Blüte steht, welche im Absterben begriffen und welche ganz dahin ist. Da fand ich denn in jenen Gegenden neben der unverwüstlichen Mundart besonders Sagen, Sitten und Bräuche und abergläubische Vorstellungen noch ungemein stark im Schwunge. Im Absterben sind Volkslieder und Märchen. Ganz tot ist die volkstümliche Bauweise, denn die alten aus Eichenholz errichteten Riegelbauten, die dort noch vereinzelt zwischen neumodischen Backstein- und Bruchsteinhäusern stehen, dienen nicht mehr als Vorbild.

Die neue Zeit – ich will das einmal laut und ohne Bedenken aussprechen, so wunderbar es klingen mag – ist ganz besonders geneigt das Einwirken einer überirdischen Geisterwelt anzuerkennen. Da ist es ganz gleichgiltig, ob wir uns in der Weltstadt Berlin oder in dem weltfernen Dörfchen Lobenfeld befinden; höchstens dass der Geister- und Aberglaube in verschiedenen Formen sich ausprägt. Dem Tieferblickenden sind die Ursachen dieser befremdlichen Erscheinung nicht unbekannt; hier ist jedoch nicht Raum zu Erörterungen darüber: genug, die Thatsache besteht einmal.

Empfohlene Zitierweise:
Fridrich Pfaff: Märchen aus Lobenfeld (1896). Trübner, Straßburg 1896, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pfaff_Maerchen_aus_Lobenfeld.djvu/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)