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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

Beispiel die Vorschriften über das große Gebet[1] (4 Mos. 6, 2). Es ist aber ein Gebet eine Forderung von Gütern an die Gottheit,[2] ein großes Gebet aber der Glaube daran, daß Gott selbst aus sich heraus Urheber der Güter ist, ohne daß ein anderes von den Dingen mitwirkt, die den Anschein erwecken, Nutzen zu bringen, nicht die Erde, als ob sie Früchte trüge, nicht der Regen, als ob er Samen und Pflanzen wachsen ließe, nicht die Luft, als ob sie imstande sei zu nähren, nicht die Landwirtschaft, als ob sie die Ursache des Ertrages, nicht die Heilkunst, als ob sie die der Gesundheit, nicht die Ehe, als ob sie die der Erzeugung von Kindern sei. 88 Denn alle diese Dinge erfahren durch die Kraft Gottes Wechsel und Veränderungen, [286 M.] so daß sie häufig das dem Gewohnten Entgegengesetzte vollbringen. Er nun,[3] sagt Moses, sei „heilig und lasse wachsen das Haar des Hauptes“ (ebd. 5), was bedeutet: er vermehrt in dem Haupte die hauptsächlichen Keime der Tugendlehren, läßt sie gleichsam wie langes Haar wachsen und wird um ihretwillen geheiligt. 89 Doch manchmal büßt er sie ein, wie wenn plötzlich ein Wirbelwind über die Seele hereingebrochen wäre und alles Gute aus ihr herausgerissen hätte. Dieser Wirbelwind aber ist eine unfreiwillige, plötzlich den Geist befleckende Wandlung, die er (Moses) Tod nennt (ebd. 9).[4] 90 Doch obwohl er (sie) verloren hat, wird er auch wieder entsühnt, nimmt (sie) wieder auf und erinnert sich derer, die er bis dahin vergessen hatte, und was er eingebüßt, findet er, so daß die vorigen Tage der Wandlung als sinnlos erkannt werden (ebd. 12),[5] entweder weil die Wandlung ein sinnloser Vorgang ist, im Widerspruch stehend mit der rechten Vernunft und ohne Anteil an der Besonnenheit, oder


  1. Philo verwertet den Doppelsinn von εὐχή Gelübde und Gebet. Gemeint ist das Gelübde des Nasir: Über die Einzelges. I § 247 ff. und Anm.
  2. Eine Definition des Gebets (εὐχή in dem Doppelsinn von Gebet und Gelübde), die bei Philo mehrmals wiederkehrt; vgl. Über die Geburt Abels § 53, Über die Landwirtschaft § 89. Über die μεγάλη εὐχή vgl. Über die Trunkenheit § 2. Über die Einzelges. I § 248.
  3. Nämlich der Nasir, der wiederfindet, was er schon einmal besaß, siehe § 86 und 87.
  4. Num. 6, 9: ἐὰν γάρ τις ἀποθάνῃ ἐπ᾽ αὐτῷ αἰφνίδιον, παραχρῆμα μιανθήσεται ἡ κεφαλὴ εὐχῆς αὐτοῦ, καὶ ξυρήσεται. 12: αἱ δ᾽ ἡμέραι αἱ πρότεραι ἄλογοι ἔσονται, ὅτι ἐμιάνθη κεφαλὴ εὐχῆς αὐτοῦ. Vgl. Über die Landwirtschaft § 175ff., wo Philo diese Verse anführt und auslegt, und De fuga et invent. § 115, Alleg. Erkl. I § 17 und Anmerkung dazu.
  5. Siehe die Anm. zu Über die Landwirtschaft § 179.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/21&oldid=- (Version vom 9.2.2022)