Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/073

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

weder Mann noch Weib ist; denn die Fähigkeit, die zur Unvergänglichkeit bestimmten Samen zu geben oder zu empfangen, hat er nicht, wohl aber die Fähigkeit, die häßlichste Tat gegen das Leben zu begehen, nämlich zu versuchen, das Unvergängliche dem Verderben zu weihen und die unauslöschlich bleibenden Leuchten der Natur auszulöschen. 213 Keinem solcher Leute gestattet Moses, in die Versammlung Gottes zu kommen; er sagt nämlich: „Kein Gequetschter und Verschnittener soll in die Versammlung des Herrn kommen“ (5 Mos. 23 1).[1] – [52] Denn was kann es dem an Weisheit Unfruchtbaren nutzen, heilige Worte zu hören, da ihm der Glaube ausgeschnitten ist[2] und er die Kraft nicht hat, das Pfand der lebenfördernden Lehren zu bewahren? 214 Drei Wirte also des Menschengeschlechtes gibt es, den Oberbäcker, den Mundschenk und den Koch; ganz richtig;[3] denn drei Dinge streben wir zum Verbrauch und zum Genuß an: Brot, Zukost und Getränk; aber die einen nur das Notwendige, das wir zum gesunden und anständigen Leben notgedrungen[4] haben müssen,[5] die anderen aber das Unmäßige und ganz Überflüssige, das die begehrlichen Triebe hervorbrechen läßt und die Behälter des Leibes durch Überfälle beschwert und bedrückt und dadurch schwere [390 M.] Krankheiten mannigfaltiger Art zu erzeugen pflegt. 215 Die einen nun führen als Laien der Lust, Begierde und Leidenschaften, gleichwie die gemeinen Plebejer in den Staaten, ein Leben frei von Haß und Belästigung, und weil sie nur weniges bedürfen, brauchen sie keine routinierten und übertrieben kunstgeübten Diener, sondern solche, die ihren Dienst kunstlos verrichten, Köche, Weinschenken und Brotbäcker. 216 Die anderen dagegen halten ein Leben in Lust für eine Herrschaft und ein Königreich,


  1. Vgl. Ü. d. Unveränderl. § 111, Ü. d. Träume § 184, Alleg. Erkl. III § 8, Ü. d. Einzelges. I § 325, De mut. nom. § 205 u. ö.
  2. Über den Begriff des Glaubens bei Philo vgl. Windisch, Die Frömmigkeit Philos 23ff.
  3. Ähnlich Philo Ü. Joseph § 152.
  4. Alleg. Erkl. III § 147 spricht Philo den Gedanken aus, zum Genuß der notwendigen Speisen und Getränke zwinge die Natur auch den Bedürfnislosesten, der auch die unentbehrlichen Dinge verachtet und nach Enthaltung von ihnen strebt (dazu vgl. W. Bousset, Die Religion d. Judentums S. 512, ³445).
  5. Über das philonische Ideal der ἐγκράτεια, der Mäßigkeit und Selbstbeherrschung in Speise und Trank, handelte P. Wendland im 2. Kapitel seiner Abh.: Philo und die kynisch-stoische Diatribe (S. 8–15). „Nützlichkeit und Notwendigkeit sind die Normen des naturgemäßen Lebens. Gegensatz von ἀναγκαῖα sind ἄμετρα und περιττά.“ (Wendland, ebda S. 10, 1).
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/073&oldid=- (Version vom 21.5.2018)