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Philon: Über die Nüchternheit (De sobrietate) übersetzt von Maximilian Adler

oder ans Tageslicht gebracht, was zu Hause im Dunkel bleiben konnte und die Grenzen der Seele nicht überschreiten durfte, wenn er kein Anhänger des Umsturzes wäre und nicht über das Mißgeschick der anderen lachte, wiewohl er eigentlich darob seufzen müßte, statt mit solchen Dingen Spott zu treiben, über die er in wohlerwogener Scheu vor der Zukunft sein Gesicht traurig in Falten legen müßte? 7 An vielen Stellen[1] des Gesetzeswerkes aber nennt (Moses) Leute im vorgerückten Alter jung und andererseits noch lange nicht Gealterte alt, nicht mit Rücksicht auf die Zahl der Jahre oder auf die Kürze und Länge der Zeit, sondern mit Rücksicht auf die Kräfte der Seele, je nachdem sie sich zum Guten oder Schlechteren bewegt.[2] 8 So nennt (die hl. Schrift) den Ismael, als er wohl schon fast 20 Jahre alt war, im Vergleiche zu dem in Tugenden vollkommenen Isaak ein Knäblein; denn es heißt: „Und er nahm Brot und einen Schlauch mit Wasser und gab es Hagar und er setzte ihr auf die Schulter auch das Knäblein“, als sie Abraham aus seinem Hause wegschickte; und dann wieder: „Sie warf das Knäblein unter eine Fichte“, und „Ich will nicht Zusehen dem Sterben des Knäbleins“ (1 Mos. 21, 14–16). Und doch ist Ismael vor der Geburt Isaaks bei seiner Beschneidung schon 13 Jahre alt (1 Mos. 17, 25) und wird, als bei jenem ungefähr im Alter von 7 Jahren die Ernährung mit der Muttermilch aufhört, mit seiner leiblichen Mutter deshalb verjagt, weil er als unehelicher Sohn[3] sich im Scherze die Ebenbürtigkeit mit jenem anmaßte. [394 M.] 9 Aber trotzdem, daß er schon ein Jüngling ist, wird er Knäblein genannt, weil er, der Sophist, in prüfendem Vergleich einem Weisen gegenübergestellt wird; denn die Weisheit ist dem Isaak als Los zugefallen, die Sophisterei


  1. Beispiele hiefür bringt Philo § 8–29 bei.
  2. Hatte im Griechischen πρέσβυς (und sein Kompar. und Superl.) schon immer den Nebensinn des „Ehrwürdigen, Achtunggebietenden, Geehrten“, so hat Philo dessen Inhalt in zwei entgegengesetzte Begriffe zerlegt, einen zeitlichen und einen ethischen. Bei seiner Geringschätzung des χρόνος (vgl. Leisegang, Ü. d. Geb. Abels § 77 Anm. 3) kommt er geradezu zu der Ansicht: „für älter hält der Schlechte das Körperliche, der Wackere das Seelische, das ja auch in der Tat, freilich nicht der Zeit, aber dem Range und der Würde nach älter ist und an erster Stelle steht“ (Alleg. Erkl. III 191). Diesen Unterschied betont Philo Ü. d. Geb. Abels § 77, Ü. Abrah. § 271, Ü. d. Trunkenh. § 48 (vgl. Anm. 4) u. ö. Übrigens hat auch זקןalt einen ähnlichen Bedeutungswandel erfahren.
  3. Mit diesem (unbiblischen) Begriff des griechisch-römischen Rechts bezeichnet Philo immer die Söhne der Nebenfrauen.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Nüchternheit (De sobrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSobrGermanAdler.djvu/6&oldid=- (Version vom 5.7.2016)