Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 022.jpg

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verfahren will, zwar keineswegs auf die Verwendung der Sorten und ihren Gebrauchswerth Rücksicht nehmen (obschon dieß mehrmals verlangt und versucht worden); wohl aber kann und soll sie in der Beschreibung der einzelnen Sorten, die Erfahrungen über den Wuchs der Bäume, über das Gedeihen derselben in mildem, rauhem und kaltem Klima, über die Tragbarkeit und den Gebrauchswerth der Sorten aufnehmen, und auf diese Weise dem Obstzüchter die Auswahl der für seine Verhältnisse und Zwecke brauchbarsten Sorten erleichtern. Allerdings wird für den gewöhnlichen Obstbauer das Studium der Obstkunde nicht geeignet sein, so wenig wie das Studium der Botanik für den gewöhnlichen Landbauer. Beide ziehen aber demungeachtet Vortheile von diesen Wissenschaften. Ohne genaue Kenntniß der großen Anzahl der vorhandenen Obstsorten und der Einwirkungen der Natur und Kultur auf dieselben, kann man weder das vorhandene Beste übersehen, noch sich über eine Sorte gehörig verständigen, noch auch hinsichtlich der Erziehung neuer Sorten oder der Veredelung der vorhandenen sichere Fortschritte machen. Ueber alles dieses genaue Auskunft zu geben, jede Sorte so zu bezeichnen, daß eine Verwechselung mit anderen nicht leicht stattfinden kann, ihre Eigenschaften, ihr Verhalten in Rücksicht auf Klima, Boden, Standort etc. zu beobachten und anzugeben und ihren Gebrauchswerth anzudeuten, ist Sache der Pomologie, wenn sie den obigen Forderungen entspricht. Sache einzelner gebildeter Obstzüchter und der Localvereine wird es aber seyn, hiernach das, den speciellen Verhältnissen und Zwecken eines Jeden Angemessenste zu wählen, bekannt zu machen und zu verbreiten, und besonders wird es den pomologischen Vereinen obliegen, die nach den verschiedenen Localverhältnissen und Gebrauchszwecken empfehlenswerthesten Obstsorten zu verbreiten, deren sichere Beziehung zu vermitteln und auf diese Weise dahin zu wirken, daß überall das Angemessenste gebaut werde.

Die Obstkunde, und mit Hülfe derselben, die pomologischen Vereine, die Staatsbaumschulen etc. müssen den Obstzüchter verwahren, daß er nicht statt einer werthvollen Sorte eine werthlose, statt einer angepriesenen, angeblich neuen Sorte eine in der Gegend bereits vorhandene, alte Sorte etc. erhalte, und Geld, Zeit und Mühe vergeblich auf Anziehung oder Anschaffung von Sorten verwende, die seinen Verhältnissen und Zwecken nicht entsprechen können.

Das Kostbarste von Allem ist die Zeit. Dieser alte Satz gilt hauptsächlich auch in der Landwirthschaft, und namentlich bei der Pflanzen- und Thierzucht, ganz besonders aber bei dem Obstbau, wo man im günstigsten Falle erst nach drei, oft erst nach sechs und mehr Jahren ersieht, ob man Das wirklich hat, was man zu haben wünscht. –

Die Obstkunde wird auch die Erfahrungen, welche bei der Obstzucht gemacht worden sind, stets berücksichtigen, solche aber erst nach gehöriger Prüfung in ihre Lehren aufnehmen und benutzen.

In dieser Weise werden Obstkunde und Obstzucht Hand in Hand gehen und beide immer zu weiterer Verbesserung und Ausbildung fortschreiten, ohne daß es einer unnatürlichen Beschränkung der einen oder andern bedarf.

Möchten die Pomologen obige Rathschläge einer nähern Berücksichtigung werth halten!




Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_022.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)