Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 185.jpg

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durchaus richtig wieder gegeben sind. Im Abschnitt 5, allgemeine Grundregeln des Beschneidens heißt es pag. 435:

„1) Man schneidet die Zweige des stärkeren Theiles sehr kurz und die des schwächern Theiles sehr lang. Wir haben gesehen, daß der Saft von den Blättern angezogen wird. Wenn man nun an den kräftigeren Stellen den größten Theil der Holzknospen wegschneidet, so raubt man diesen Theilen die Blätter, welche die Knospen entwickelt haben würden; der Saft gelangt nun in geringerer Menge dahin, und die Vegetationsthätigkeit vermindert sich. Der schwache Theil des Baumes, welcher dagegen eine große Anzahl Knospen behält, wird mit einer größern Menge Blätter bedeckt, welche eine vermehrte Thätigkeit der Vegetation erzeugen. Dieses Mittel kann für alle Bäume angewendet werden, welche Form man ihnen auch geben möge.“

Ferner §. 2. auf S. 438. ist gesagt:

„Der Saft entwickelt auf einem kurzgeschnittenen Zweige einen kräftigeren Trieb, als auf einem langgeschnittenen.

„Das hier Gesagte erklärt sich sehr leicht. Wenn der Saft auf eine oder zwei Knospen wirkt, so ist es natürlich, daß er sie mit einer weit größeren Kraft zur Entwicklung bringt, als wenn seine Thätigkeit unter 15–20 getheilt wird. Aus diesem zweiten Grundsatz geht hervor, daß wenn man Holzzweige erhalten will, man sehr kurz schneiden muß, weil die kräftigen Zweige nur sehr wenig Blüthenknospen entwickeln, und daß dagegen, wenn man Fruchtzweige zu erziehen beabsichtigt, man lang schneiden muß, weil die schwächeren Zweige eine größere Anzahl Blüthenknospen tragen. Eine andere Folgerung aus diesem Grundsatz ist die, daß wenn ein Baum durch eine zu starke Produktion an Früchten erschöpft ist, man seine Kraft dadurch wieder herstellt, daß man ihn ein oder zwei Jahre kurz schneidet.“

Beide Sätze stehen in offenbarem Widerspruche und es wäre gewiß gerechtfertigt gewesen, wenn der Herr Bearbeiter eine erläuternde Bemerkung hiezu gegeben hätte. Beide sind als Regeln richtig, allein die im ersten Satz ausgesprochene Theorie ist, wie wir bald sehen werden, eine unrichtige. Zunächst muß ich noch einer andern Autorität gedenken, welcher den ersten Satz ebenfalls als Grundregel aufstellt.

Victor Pacquet, sonst ein einsichtsvoller Cultivateur, geht sogar in der falschen Auffassung der Theorie der Ernährung durch die Blätter so weit, anzuempfehlen, beim Verpflanzen der Bäume dieselben gar nicht zu beschneiden, indem es augenscheinlich klar sey, daß mit dem Beschneiden der Zweige auch eine große Anzahl Knospen mit verloren gehen, mit diesen aber auch die in ihnen schlummernden Blätter. Derselbe sagt im l’Instructeur Jardinier unglaublichererweise:

„Einen Baum bei seiner Verpflanzung beschneiden, ist so viel als einen großen Fehler begehen. Man beschneide ihn erst im folgenden Jahre, wie es alle physiologischen Gesetze der Pflanzennatur gebieten und consequent verfolgte Versuche gut heißen.“

Als ich diesen Aufsatz vor mehreren Jahren las, hielt ich es für meine Pflicht, indem ich mich auf gegentheilige Erfahrungen in sehr umfangreichem Grade stützen konnte, in der Thüringer Gartenzeitung gegen solche Behauptungen aufzutreten und vorzüglich um jüngere Freunde des Obstbaues

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_185.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)