Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 188.jpg

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Pflanzung junger Bäume dieser Art, nach der gewöhnlichen Methode, zwei Reihen sehr kurz schnitten, fast bis zum Stamm derselben, und in zwei andern Reihen nur die Aeste wegschnitten, die Verwirrung machten. Aber die Stämme der vier Reihen von Maulbeeren einzeln mit Genauigkeit in gleicher Höhe und zu Ende des Sommers gemessen, waren fast gleich groß und dick, die einen wie die andern, und selbst wenn ein Theil einigen Vorsprung zeigte, so waren es mehr die kurzgeschnittenen, als die in ihrer ganzen Länge gelassenen. Wir müssen daraus schließen, daß die Erfahrung nicht bestätigte, daß der lange Schnitt die Kraft der Theile des Baumes oder der Aeste vermehre, und daß in Folge dessen um das doppelte Resultat zu erhalten, die schwachen zu verstärken und die starken Aeste zu schwächen, es nicht hinreichend sey, den schwachen Ast lang und den starken kurz zu schneiden; denn es ist noch erforderlich, (wie es übrigens jene Autoren auch empfehlen), die jungen Triebe an den kräftigen und kurzgeschnittenen Aesten stark abzuzwicken (pincer); ohne dies würde ihr üppiger Wuchs sich während des Sommers bald erneuern, selbst auf Kosten solcher Aeste, die man verstärken wollte, um so mehr, als sie durch ihren an sich kräftigern Trieb vor jenen entschieden im Vortheil sind.

Durch die erste Operation, den kurzen Schnitt der starken Aeste, hat man angefangen, den Saft, der sich natürlich den weggeschnittenen Trieben mitgetheilt hätte, auf die gelassenen Längen zurückzudrängen; aber im Lauf des Sommers würde dieser Saft, geführt durch die zahlreichen und weiten Saftgefässe des kräftigern Zweiges, sich in die Augen, die man denselben gelassen hätte, ergießen, und würde eine Stärke bedingt haben, viel mehr als die der langgebliebenen Zweige.

Aber das Pincement, welches den Wuchs in seiner ersten Entwicklung zurückhält, drängt den Saft auf die schwachen Zweige und diese gelangen mit Hülfe des reichen ihnen gelassenen Blätterapparats bald dahin, daß sie weitere und zahlreichere Saftkanäle bilden als jener Zweig, welchen man bändigen will, besaß.

Dieses Mittel, starke Aeste zu schwächen und schwache zu stärken, ist den älteren und wahren Grundsätzen, nach denen man die starken Aeste lang schnitt, um ihre Triebe zu schwächen, und die schwachen kurz, um die Triebe dieser zu stärken, nicht entgegen. Man erhält auf diese ältere Weise auf dem schwachen Zweig stärkere Triebe, auf dem stärkeren schwächere; aber man erlangt das Ziel, den schwachen Zweig über den starken herrschen zu lassen, sowohl durch seine Stärke als durch seine Länge nicht sogleich; der starke Zweig mit seiner größern Entwicklungskraft behält dennoch mehr die Oberherrschaft über den schwachen verkürzten Zweig; während nach dem neuen System, durch das Pincement, welches, wenn es nöthig ist, mehrmals wiederholt wird, der Saft, der für den starken Zweig bestimmt war, in dem schwachen hingedrängt wird, und so wird der schwache Zweig dahin gelangen, die Herrschaft über den stärkern zu erlangen; während er seine ganze Länge behalten hat.

Diese wesentliche Grundregel des neuen Schnitts ist Thouin zu verdanken, der, wie es scheint, ihn zuerst angerathen hat. –“ So weit Puvis, der uns in den angeführten Sätzen eine klare und verständige Kritik der neuern Regel über dieses Beschneiden

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_188.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)