Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 195.jpg

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Kern, und wenn sie endlich oben in der Krone mit einer der hierzu bestimmten zärtlicheren Obstsorte veredelt waren und bald verpflanzt werden sollten, kam nach einem kalten Winter oder nassen Frühjahre am Wildlinge der Brand oder der Krebs ziemlich an derselben Stelle zum Ausbruch, wo er sich früher auch bei den zärtlichen Edelsorten am häufigsten gezeigt hatte. Jetzt finde ich das Alles ganz natürlich. Denn was sind unsere Edelsorten insgesammt anders als ehemalige, wegen ihrer Güte fort und fort vermehrte Wildlinge, und warum sollten die Wildlinge von Jetzt nicht denselben Fehlern und Schwächen unterworfen seyn, welche diesen edlen Wildlingen von Sonst anhaften?

So mußte ich also meine Aufmerksamkeit noch einen Schritt weiter zurück lenken und statt der gründlichen und willkürlichen Voraussetzung: Wildling sey Wildling, auch bei den Wildlingen die Verschiedenheit der Individualität anerkennen. Die ganz schwach und spärlich wachsenden Wildlinge mußten nun zu Unterlagen für Nieder- und Halbhochstämme, so viel ich deren benöthigt war, bestimmt werden. Die gegen den Frost empfindlichen Stämme mußten als untauglich, einen dauerhaften Stamm zu bilden, gleich unten mit einer minder zärtlichen und besser wachsenden Edelsorte veredelt und nun mit den gesund und kräftig emporwachsenden Wildlingen zur spätern Kronenveredlung aufgezogen werden. Um dies aber mit Erfolg thun zu können, galt es nun, die Edelsorten auszumitteln, welche vorzugsweise gesunde, gerade, starke und gegen den Frost nicht empfindliche, daher auch nicht zu Brand und zu Krebs geneigte Stämme liefern. Unter den Aepfeln ziehe ich hierzu den Wachsapfel und den Astrachan’schen Sommerapfel (Augustapfel) fast allen andern Sorten vor. Doch liefern auch einige andere hier einheimische Wirthschaftssorten in unserem Klima eben so gerade, starke und gesunde Stämme. Unter den Birnen sind vorzüglich Colomas Herbstbutterbirne, Graf Michna, die Rothe Bergamotte, und einige hiesige Wirthschaftssorten (die Grünbirne, Zwiebelbirne, die Zuckerradenbirne) wegen ihres schönen gleichmäßigen und gesunden Wachsthums zu empfehlen, obgleich Colomas Herbstbutterbirne wegen der vielen Seitenäste, die man ihr zur Erstarkung des Hauptstammes lassen muß, gewöhnlich einen etwas knotigen, wenn auch kräftigen und geraden Schaft liefert. Unter den Pflaumen wachsen besonders die Hahnenpflaume (v. Liegel) und die Ottomannische Kaiserpflaume schnell und kräftig empor. Die Kirschen aber habe ich bisher fast nur in die Krone veredelt, und deßhalb nicht genugsame Erfahrungen gesammelt, um bestimmte Sorten zum Heranziehen kräftiger und gesunder Stämme empfehlen zu können. Das aber darf ich von meinen mit obigen Sorten veredelten Birnstämmen nicht unerwähnt lassen, daß dieselben in meiner Baumschule den meisten Obstbaumzüchtern, die sie zu sehen bekamen, durch ihren schönen Wuchs auffielen und Viele derselben zu der Frage veranlaßten, wie ich es nur anfange, so schöne, gesunde, glatte und kräftige Birnbäume empor zu ziehen. Denn gewöhnlich übertreffen dieselben selbst die schönsten Wildlinge an Gesundheit und Kräftigkeit.

Haben diese nun mit den unveredelt gebliebenen Wildlingen die gehörige Kronenhöhe erreicht, so daß ich ohnehin ihren Hauptzweig abstutzen müßte, um sie zur Bildung der 3 oder 4 Kronenäste zu veranlassen, so veredle ich diesen Hauptzweig durch Kopulation oder mit dem Klebreis

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_195.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)