Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 199.jpg

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Trieb nicht ganz so kräftig ist, als gewöhnlich. In der Regel lasse ich dem Leitzweige nur ein Drittel seiner Länge, bei sehr starkem Triebe mehr, bei schwachem weniger. Natürlich suche ich mir ein möglichst kräftiges Auge zum Endtriebe aus, schneide den Leitzweig 3 Zoll höher, und nehme etwa darüber befindliche Augen glatt weg. Gut ist’s, wenn das oberste Auge möglichst senkrecht steht, damit der künftige Leitzweig ohne Mühe gerade wächst; jedoch gibt mir der Zapfen die Möglichkeit, ihn auch bei schräger Stellung dazu zu zwingen. Wenn nämlich der neue Trieb 6 bis 12 Zoll lang ist, und anfängt, einige Festigkeit zu bekommen, wird er mit ein wenig Bast an den Zapfen so angebunden, daß er vollkommen senkrecht steht. Wächst ein einzelner Leitzweig von selbst ganz gerade, so kann das Anbinden natürlich unterbleiben; dies geschieht jedoch verhältnißmäßig selten, da die meisten sich nach der Seite hinneigen, nach der sie am Zweige stehen. – Hiebei ist noch davor zu warnen, daß man nicht des Guten zu viel thue, und den jungen Trieb so stark anbinde, daß er nach der entgegengesetzten Seite überhängt. Man glaube nicht, daß er später nach Abnahme des Bandes mit einer gewissen Federkraft sich wieder nach seiner ursprünglichen Richtung zieht; er bleibt genau so, wie er nach dem Binden erscheint. Nur muß man seine Richtung allein nach dem unteren, schon festen Theile, nicht nach dem oberen, vollkommen krautartigen beurtheilen; der letztere ist noch ganz biegsam und wächst dann von selbst gerade. Einige Aufmerksamkeit ist noch darauf zu verwenden, daß man weder zu früh noch zu spät binde; ist der Trieb noch gar zu jung, so nimmt er nicht so gut die gewünschte Richtung an; ist er schon zu alt und starr, so bricht er bisweilen ab. Geschieht letzteres, so nimmt man einen der unteren Triebe zum Leitzweig; die senkrechte Richtung, die er durch das Anbinden erhält, verschafft ihm bald die Oberhand über die andern Triebe. Da die verschiedenen Sorten ungleich treiben, so kann man die ganze Arbeit nicht auf einmal verrichten, sondern muß zu diesem Zwecke die Baumschule zwei oder dreimal durchgehen. Etwa im Juli hat der neue Leitzweig schon entschieden die gerade Richtung angenommen, und man kann dann bereits den Zapfen wegschneiden; ich lasse ihn aber gewöhnlich bis zum nächsten Frühjahr stehen, wo er dann beim Beschneiden mit weggenommen wird. Die entstehende kleine Wunde lasse ich, wie alle Schnitte in der Baumschule, mit etwas Theer verstreichen, der durch Zusatz von feingesiebtem Lehm mehr Zähigkeit erhalten hat; sie heilt außerordentlich rasch, namentlich wenn sie im richtigen Winkel von 45° geschnitten ist.

Man sieht leicht, daß dieser Schnitt mit Zapfen überall da seine großen Vortheile hat, wo man dem neuen Triebe eine bestimmte Richtung anweisen will. Er empfiehlt sich daher auch für Spalierbaumzucht und Zwergbäume.

Hat man z. B. bei der Erziehung einer Pyramide einen verhältnißmäßig zu schwachen Seitenast, so schneidet man diesen auf ein inneres, das heißt nach oben stehendes Auge. Hiedurch gewinnt der Trieb an Kraft, und man hat durch den Zapfen doch ein leichtes Mittel, ihn in die gewünschte Richtung zu ziehen, falls er zu sehr in das Innere der Pyramide hineinwächst. Ueberhaupt hat man unter allen Umständen den Vortheil, daß man immer das Auge zur Verlängerung des Astes wählen kann, welches am passendsten steht und das stärkste

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_199.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)