Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 312.jpg

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Bezeichnung hat, nicht selten Alles entscheiden müssen. Es ist daher auch hier auf die bloße Theorie nie sehr großes, ja meistens sogar viel zu wenig Gewicht gelegt worden.

Desto mehr hat man sich von jährlichen Obstausstellungen und Pomologenversammlungen versprochen. Bei diesen sind ja nicht allein die streitigen Gegenstände, sondern auch ihre Vertreter und zugleich auch berufene unparteiische Richter an Ort und Stelle. Aber mag das auch wahr seyn, so fehlt dabei doch stets die gehörige Zeit, um die Acten einzusehen und vor der schnell abzugebenden Entscheidung gründlich zu prüfen. Auch ist es nicht möglich, eine solche jährliche Ausstellung so anzusetzen, daß dabei auch nur die Hälfte unserer Obstsorten wirklich am Platze seyn kann. Man wählt dazu gewöhnlich nicht unpassend den Herbstanfang. Da sind aber, um nur von dem Stein- und Kernobst zu reden, schon alle unsere Kirschen (bis etwa auf die Schattenweichsel) und eine große Menge Pflaumen, Aprikosen, Sommeräpfel und Sommerbirnen passirt; das spätere Herbst- und das Winterobst aber noch völlig ungenießbar, das Letztere selbst in den rauheren Gegenden noch nicht einmal völlig ausgewachsen und gereift. Man kann daher, wie gesagt, dem Auge der anwesenden Pomologen nur etwa die Hälfte des in diesem Jahre wirklich erbauten Kern- und Steinobstes vorführen; die Hauptprobe aber für die wirkliche Güte der wirklich zur Ausstellung gebrachten Sorten, die Probe des Kostens wird sich bei der Versammlung selbst etwa auf den 30sten Theil beschränken müssen, indem davon die ganze Fülle des späten Herbst- und des Winterobstes ausgeschlossen bleiben muß. Auch lehrt den Kenner schon ein flüchtiger Blick auf eine solche öffentliche Ausstellung, daß er es hier nicht mit eigentlichen Normalfrüchten, welche in Größe und Färbung die charakteristischen Merkmale der Sorte am entschiedensten zeigen, zu thun habe, sondern daß die ihm hier vorliegende bunte Sammlung größtentheils aus ungewöhnlich großen und schönen, oft sogar wahrhaft monströsen Exemplaren besteht, wie solche nur in einem besonders üppigen Boden und in der sonnigsten Lage gewonnen zu werden pflegen. Solche Früchte setzen freilich den harmlosen Beschauer in Staunen und können wohl auch den strebsamen Obstzüchter zu erhöhtem Eifer für seine Pflanzungen anspornen, den lernbegierigen und gründlichen Obstkenner aber werden sie niemals völlig befriedigen. Dazu kommt noch die Unruhe und Zerstreuung, welche solche große Versammlungen durch neue interessante Bekanntschaften, durch mancherlei Sorgen und Arbeiten für Aufstellung und Ordnung der Ausstellung oder für die Unterhaltung der willkommenen Gäste herbeiführen, und endlich noch ein nicht kleiner Schwarm von bisweilen eingebildeten Halb- und Viertelspomologen und die dankbar anzuerkennende Anwesenheit hochgestellter Gönner und Freunde der Pomologie, deren wohlwollende Unterstützung die Führer der Versammlung durch aufmerksames Entgegenkommen zu erwidern haben. Ist es nun ein Wunder, wenn unter solchen Constellationen Uebereilungen und Mißgriffe nicht ganz vermieden werden können? Und reicht dann wohl die Menge und der Eifer der Versammelten hin, um die wohlbegründeten Einwendungen Sachkundiger zu entkräften, welche dergleichen Fehlgriffe bald genug entdecken und nachweisen werden? So anregend und fördernd daher auch dergleichen Versammlungen und Ausstellungen für die gesammte theoretische und praktische Pomologie seyn mögen, zumal wenn dieselben die

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_312.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)