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II. Praktischer Obstbau und Obstbenutzung.
Sollen wir unsere Obstbäume durch Aussäen von Kernen vorzüglicher Früchte, ohne Veredlung heranzuziehen suchen, oder muß die Anzucht veredelter Obstbäume, als allgemeine Regel, stets beibehalten werden?
Vom Superintendent Oberdieck.
(Fortsetzung.)

Wir können nun um so leichter die oben angegebenen Punkte durchgehen und fragen:

ad 1. a) Ob die Verwundung, welche bei der Veredlung den jungen Stämmchen zugefügt wird, und der Verlust der oberen Theile für sie wirklich so gefährlich sey, wie man behauptet hat.

Es ist wohl ein recht guter Rath, daß man an jungen Bäumen nicht unnöthigerweise schneiden und sägen soll, weil auch die Zweige und Blätter Stoffe für Ernährung und Wachsthum herbeiführen müssen; aber wenn man auch einmal mehrere Zweige, oder selbst die ganze Krone abwirft, so ist das so gefährlich nicht. Kappt man fast jährlich, so wird dadurch freilich ein Baum geschwächt, doch nur in seltenen Fällen getödtet (man denke an das Schlagholz), aber geschieht es nicht oft genug, daß abgeschnittene, oder durch Zufall beschädigte junge Obstbäume wieder ausschlagen und groß und alt werden? Wollen junge Stämme nicht treiben, oder sind sie versetzt, so ist es sogar nothwendig, sie stark zu verstutzen oder selbst unweit der Erde abzuschneiden; alte, durch zu viele Ringelwüchse an dem Zweigholze, nach und nach untragbar werdende, oder theilweise absterbende Bäume, kann man ja selbst wieder verjüngen und ihr Leben verlängern, wenn man die Aeste abwirft und sie zwingt, wieder junge Triebe zu machen. Die Wurzel beim Versetzen möglichst zu schonen, ist sehr gut, und selbst die Pfahlwurzel möchte man stehen lassen, da sie sich in der Erde bald zertheilt und zur stärkeren Befestigung der Bäume beiträgt, wovon auch ihre künftige beträchtlichere Höhe abhängt;[1] aber sollte man beim Versetzen auch die Zweige nicht bescheiden, so ist das durchaus falsch; denn es ist zum fröhlichen Gedeihen des versetzten Baumes schlechterdings nothwendig, die Zweige zu der beim Ausnehmen doch immer verkürzten Wurzel in ein angemessenes Verhältniß zurückzubringen. Allerdings müssen die Blätter zur Ernährung der Gewächse beitragen, aber sie nehmen hauptsächlich nur Luftarten unter der Einwirkung des Lichts auf, und sind weit mehr bestimmt, aus dem Baumsafte die wässerigen Theile und den Sauerstoff auszudünsten, als Feuchtigkeiten einzusaugen. Die Stoffe, welche die Blätter verarbeiten, muß die Wurzel, damit fröhlicher Trieb entstehe, erst reichlich liefern, und ist

sie gegen die Zweige zu klein, so entsteht


  1. Es hat seine Vortheile, durch öfteres Versetzen eines Baumes und Verstutzen der Wurzel diese zu zwingen, mehr in der Oberfläche der Erde sich zu verästeln und fortzukriechen; aber die Entfernung der in die Tiefe gehenden Wurzeln wird immer dazu beitragen, daß unsere Obstbäume ihre volle Größe nicht erlangen. Bekannt ist die Regel, durch öfteres Versetzen die Wildlinge mehr zur Unterlage für Zwergstämme zu aptiren, und wo ich groß werdende Stämme haben wollte, da habe ich mit Erfolg solche junge Bäume gewählt, die nicht zu viele Faserwurzeln, sondern einige starke, tiefer in den Boden hineingreifende Wurzelklauen hatten.
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_314.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)