Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 315.jpg

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Saftmangel, und es geht solchen Bäumen wie den Personen, die mehr ausgeben als sie einnehmen. Ist es so beim Versetzen sogar nothwendig, daß man stark beschneide, sollte da das Abwerfen des jungen Stammes beim Veredeln den Bäumen so gar gefährlich werden? Pappeln und Linden, die sehr groß werden, erzieht man ja gar aus abgeschnittenen Zweigstücken, denen auch die Wurzeln fehlen. Wenn man gesagt hat, einen jungen Baum ganz abschneiden sey ebenso, als wenn man einem Thiere einen Theil seiner Glieder nehmen und ihm noch obendrein einen starken Blutverlust zuziehen wollte, so ist dieser Vergleich gänzlich falsch; denn Gewächse gleichen nicht den vollkommenen Thieren, sondern sind zusammengesetzte Geschöpfe, wie Polypen und ähnliche, und dem Polypen schadet es bekanntlich nicht, wenn man ihn durchschneidet, sowie der Schnecke selbst der abgeschnittene Kopf leicht wieder wächst, und der Bandwurm aus jedem seiner Glieder vollkommen sich regeneriren kann. Zudem wird jetzt die Operation der Veredlung so schnell und sicher vollzogen, daß sie selten mehr, als einmal nöthig ist, und in wenigen Wochen die gemachte Wunde wieder verheilt. Die veredelten Stämmchen wachsen dann so freudig, daß sie im nächsten Herbste den dabei stehenden, noch wilden von gleichem Alter, gewöhnlich schon vorgekommen sind. Man kann endlich die jungen Bäumchen, gleich wenn sie nur ein Jahr alt sind, veredeln, wo man sie doch unweit der Erde abschneiden müßte; und wenn man sie da um so weniger verwundet, so hat man hernach noch den Vortheil, daß die Stämme um so langsamer und kerniger emporwachsen. Die Operation der Veredlung ist also so gefährlich nicht, und ebenso wird

b) auch wohl die Vermaserung, die durch die Veredlung entstehen soll, nicht so total seyn, daß sie den Saftgang so ganz lebenslänglich hemmen könnte, und gar das Hinderniß mit den Jahren noch größer würde.

Heusinger, der diesen gegen die Veredlung vorgebrachten Grund besonders ausmalt, sagt darüber (S. 7) Folgendes: „Auch späterhin ist das Impfen, weil es eine totale Vernarbung und Unterbrechung der Gefässe in seinem Gefolge hat, höchst nachtheilig, und beschränkt gar sehr die mögliche Größe und Lebensdauer des Baumes. Die Edelsäfte werden mehr emporgehalten, und können nicht, wie sie doch sollten, hinab zur Wurzel dringen; selbst der Rohsaft, der zunächst aus der Wurzel aufwärts steigt, kann nicht so ungehindert und kräftig vorwärts dringen, und den Blättern so viele in Edelsaft zu verwandelnde Flüssigkeiten zuführen, als bei einem ungeimpften Baume geschieht. Durch dieses Mißverhältniß des Saftes gegen einander, wo die Impfstelle eine immerwährende Scheidewand bildet, bleiben die geimpften Obstbäume zwergartig. Je älter der Baum wird, desto wichtiger werden, in steigender Progression, die Nachtheile und die Stockungen, die das Absterben des Gewächses vor der Zeit herbeiführen, nicht anders, als wenn Verknöcherungen der Pfortader beim Menschen stattfinden, die seinen frühen Tod unvermeidlich machen.“ – Zum Beweise, wie sehr durch die Pfropfstelle der Saftgang gehemmt werde, führt Heusinger noch an, daß ja der obere ächte Theil den Unterstamm an Dicke so oft beträchtlich übertreffe, und über der Impfstelle sich ein Wulst bilde. Man habe diese Erscheinung bisher irrig daraus erklärt, daß das aufgesetzte Reis, bei einem üppigeren Wachsthume und als Bestandtheil eines mit zarteren und weicheren Saftgefässen versehenen

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_315.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)