Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 318.jpg

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zusammen passender Naturen, sich nur als Ausnahme, und ist man bei andern, im Wuchse merklich voraneilenden Stämmen ebenso oft geneigt, zu glauben, daß die Zusammenfügung von Edelreis und Wildling sogar für Gesundheit und kräftigen Wuchs fördernd gewirkt habe. Sehe ich die Quartiere von je 1000 Stück Engl. Winter-Goldparmänen an, welche ein Verwandter von mir, Herr Lieke in Hildesheim immer veredeln läßt, und ähnliche von Harbert’s reinettenartigem Rambour und andern, so stehen die Stämme in freudigstem Wuchse da, wie ein Regiment Soldaten, mit wenigen Ausnahmen gleich hoch und stark. Und wollten wir die Wildlinge wieder aus Holzapfelkernen ziehen, bei denen eine fremde Bestäubung durch Entfernung von edlem Obste verhütet wäre, so würden wir auch, bei ganz gleichartigen Wildlingen, bald Erfahrungen sammeln können, welche Obstsorten auf ihnen recht gedeihen, und welche nicht.

Liegt es aber in der, beim Veredeln entstehenden Vernarbung nicht, wenn unter unsern Obstbäumen viele klein bleiben und früh absterben, so möchte man umgekehrt wohl eher fragen, ob nicht das, auch vom Verfasser der „Naturgemäßen Obstbaumzucht“ empfohlene Ringeln der Zweige, das Wachsthum der Bäume hindern und sie krank und früh alt machen möchte. Es entsteht dabei jedesmal ein weit beträchtlicherer Wulst und Vernarbung in der Rinde, als beim Veredeln, und wenn wir auf die alte, wohl hinlänglich widerlegte Theorie, daß die Rinde nach und nach sich in Splint verwandele, uns nicht stützen und umgekehrt aus der Vermaserung der Rinde auf eine in’s Holz übergehende Verknöcherung schließen wollen, so scheint doch selbst nach der Theorie der „Naturgemäßen Obstbaumzucht“ das Ringeln keine gesunde Operation seyn zu können. Die Kreisnarbe soll den in der Rinde absteigenden Edelsaft im Zweige emporhalten. Nun sollen bei veredelten Bäumen eben dadurch, daß die Veredlungsstelle den Saft zu sehr in die Höhe hält, Krebsschäden an der Pfropfstelle leicht entstehen,[1] (wobei man freilich fragt, wie in den oberen Theilen des Baumes zu viel Saft seyn kann, da die Impfstelle auch dem aufsteigenden Safte fast keinen Durchgang gestatten soll); würde da die Kreisnarbe in der Rinde diese Krankheit nicht ebenso gut veranlassen müssen? Und wenn, wie ganz richtig, der Edelsaft zur Wurzel gelangen muß, um diese zu vergrößern, und starkes Wachsthum zu bewirken, die Kreisnarbe aber den Edelsaft am Absteigen zur Wurzel hindert, müssen dann nicht die geringelten Bäume vor der Zeit alt werden, da, wenn auch anfangs noch ungeringelte Zweige genug da sind, um der Wurzel Edelsaft zuzuschicken, doch die Menge derselben mit jedem Jahre abnimmt, und nach nicht zu langer Zeit deren gar keine mehr vorhanden seyn werden, worauf, da nach Heusinger die Wirkung der einmal angebrachten Kreisnarbe eine permanente seyn soll (Hempel und Andere stellen dieß in Abrede), frühes Alter und Tod erfolgen müßte?

Liegt denn nun in dem Veredeln selbst und seinen Folgen nichts, wovon wir irgend

beträchtlichere Störungen für Wachsthum


  1. Krebs entsteht an der Veredlungsstelle leichter nur beim Pfropfen in den Spalt, und auch dann nur in krebssüchtigem Boden. Auf Boden, wo Krebs sich selten findet, und so auch in meiner Baumschule kann ich mir kaum entsinnen, mehr als zwei- oder dreimal unter vielen tausend Fällen einen kleinen Krebsschaden an der Veredlungsstelle wahrgenommen zu haben, der durch reines Ausschneiden bald entfernt war.
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_318.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)