Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 322.jpg

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über deren Gesundheit und Tragbarkeit Niemand klagt, der sie recht behandelt, ja, die häufig so viel mißhandelt werden, sind vielleicht noch in gerader Linie, durch Ableger oder Stecklinge entsprossene Nachkommen von denen, die Vater Noah pflanzte, so daß also jene, wie diese die Zeit ihres Daseyns nicht bloß ausgelebt, sondern schon lange überlebt hätten, worin der obige Grund als zu viel beweisend erscheint. Ebendasselbe läßt sich bei manchen Blumen und Gewächsen von geringerer Lebensdauer noch deutlicher darthun. Eine Topfnelke aus Samen könnte man, wenn auch alle, für ihr Leben ungünstige Umstände entfernt blieben, ohne Ableger wohl höchstens 4–5 Jahre erhalten, und wie manches Jahr pflanzen wir so viele Sorten schon durch Ableger gesund und kräftig fort, was sich noch weiter erstrecken würde, wenn die Nelken nicht so leicht durch Regen und Frost eingingen. So manche Zwiebelgewächse, Fleischlauch, weiße Lilien, Tulpen, Crocus, pflanzen wir seit Jahrhunderten bloß durch Zwiebelbrut fort, die in allen Stücken den Knospen der Bäume gleicht, und auch nur eine Verlängerung der ersten Urpflauze ist, welche Verlängerung bei den Ranunkeln und Crocus, wo die neue Zwiebel sich stets über der alten bildet, selbst in gerader Richtung aufwärts fortgeht, ohne daß wir fänden, daß sie weniger schön blüheten und weniger gesund und wuchshaft seyen. Wie lange mag es wohl schon her seyn, daß die Centifolienrose, die schon die Römer so ausgedehnt bauten, nur durch Absenker und Wurzelausläufer fortgepflanzt ist! Noch denkt diese Königin der Blume nicht daran, das Zeitliche bald zu segnen, und ist an Schönheit und gesundem Wuchse noch von keiner der neueren Samensorten übertroffen. Auf wie mancher zweischürigen Wiese hat das Gras durch junge Wurzelausläufer, ohne alle Erneuerung durch Samen, sich vielleicht schon weit über ein Jahrtausend wuchshaft und kräftig erhalten! Wer mag sagen, wie lange es her ist, daß sich der Buxbaum an unsern Rabatten, stets in gerader Linie aufwärts, durch neue Bewurzelung der jüngsten Triebe, fortpflanzt, der uns doch noch immer zu kräftig wächst, und wenn er zu hoch geworden ist, neues Umlegen verlangt! Wollen wir etwa behaupten, daß die einzelne kleine Graspflanze oder ein Buxbaumstamm, eine Rose beträchtlich älter, als ein Jahrtausend, älter als Obstbäume und Eichen werden können? – Es ist aber auch durchaus unrichtig, die Augen und jungen Reiser am Baume, sowie die jungen Zwiebeln, Wurzelausläufer etc. nur als bloße Verlängerungen desselben Individuums zu betrachten. Sie sind so gut Junge, wie die Samenkerne, und wir müssen, wenn wir vergleichen wollen, die Bäume nicht mit den vollkommenen Thieren, sondern mit zusammengesetzten, z. B. den Polypen, vergleichen. Wie auf dem Korallenstocke sich beständig neue Generationen junger Polypen erzeugen, durch die er vergrößert wird und eine Ausdehnung erhält, die keine Grenzen zu kennen scheint, als die Oberfläche des Meeres, so bilden sich auch an Bäumen auf der festen, allmählig absterbenden Unterlage des Holzes und im Schooße der Blätter jährlich neue Generationen von Augen und jungen Reisern, und wäre das Holz des Baumes durch Frost und andere Influenzen dem Absterben nicht stärker unterworfen, als die harte Masse des Korallenstocks, so läßt sich nicht bestimmen, bis zu welcher Grenze diese beständig fortgehenden neuen Generationen auf dem Baume, und somit seine Größe und Lebensdauer sich erstrecken könnten. Gerade darin, daß das Holz des Stammes und der Zweige von

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_322.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)