Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 329.jpg

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Gedeihen eine Obstsorte bei so reichlicher und guter Pflege, wie bei Topfbäumen, nicht auf ein allgemeines Gedeihen derselben schließen, und der Gewinn von ein paar Früchten stände nicht im Verhältnisse zu der aufgewandten Mühe und den Kosten; endlich würde auch durch die Pflanzung einzelner Individuen das Ziel, zumal bei solchen Sorten, welchen eine späte Fruchtbarkeit eigen ist, so weit hinausgerückt, daß unter dem langen Zuwarten, bis endlich ein paar Früchte gewonnen werden können, der Eifer zu prüfen und zu sichten, leicht ermatten dürfte. Daß aber die Selbstanzucht eines aufzunehmenden Sortimentes für den Pomologen Bedürfniß und Nothwendigkeit ist, muß von selbst einleuchten, denn so wenig ohne lebende Pflanzen das Studium der Botanik mit Erfolg betrieben werden kann, da hiezu Abbildungen nicht genügen; ebenso wenig läßt sich ein ersprießliches pomologisches Studium denken ohne unmittelbare Anschauung lebender Exemplare des Obstes, zumal hier Abbildungen noch weniger ausreichen, als bei der Botanik, da wesentliche Charaktere, wie z. B. Zuckergehalt, Geschmack, Aroma, ganz außerhalb des Bereiches der Darstellung auf dem Wege der Malerei und Plastik liegen. Wenn auch die Verhältnisse so günstig wären, daß eine große Anzahl von Früchten zum Zwecke der Untersuchung und Prüfung aus dem Besitzthum Dritter erlangt werden könnten; so reicht ja bekanntlich die Prüfung der Früchte allein noch nicht zu, über den Werth einer Sorte ein richtiges Urtheil aufzustellen, sondern es muß auch die ganze Structur des Baumes, der Standort, die Beschaffenheit der Unterlage, der Boden und Pflege, frühe oder späte Blüthe und anderes was in näherer Beziehung zur Frucht steht, in Berücksichtigung gezogen werden, und dann erst kann der Pomolog sein Urtheil feststellen. Zu diesem allen aber ist der Selbstbesitz eines Sortimentes nöthig. Man hat freilich in neuester Zeit erlebt, daß es Männer unternommen haben, sämmtliche Obstsorten zu beschreiben, welche keinen Baum besitzen, und vielleicht kein Dutzend Früchte aus eigener Anschauung kennen; es wird aber auch ein solches gewissenloses Verfahren, wenn das pomologische Publikum nicht ernstlichst vor solchen Schriften gewarnt wird, welche die Verwirrung noch verzehnfachen, welche in der Nomenclatur des Obstes so schmerzlich zu beklagen ist – unheilvolle Folgen nach sich ziehen. Für den Landwirth, welcher über ein großes Gut zu verfügen hat, würde die Anpflanzung großer Sortimente, hinsichtlich des Raumes, keine Schwierigkeit haben; aber gerade bei größeren Complexen haben die Landwirthe ihre Thätigkeit auf mancherlei Culturen zu richten, und doch verlangt eine sorgfältige Beobachtung und Prüfung eines Obstsortimentes eine ungetheilte Thätigkeit, wenn etwas Tüchtiges soll geleistet werden. Aber weil Landwirthe von größeren Gütern höchst selten in dem Falle sind, dem Obstbau eine überwiegende Aufmerksamkeit zu schenken, so finden wir auch so selten unter denselben Pomologen im engeren Sinne des Wortes. Wo soll aber der Besitzer eines kleinen Gutes, vielleicht nur eines Gartens, Raum finden, alle Obstsorten, welche er zu kennen oder zu besitzen wünscht, anzupflanzen? dieß kann nur geschehen, wenn er Probe- und Sortenbäume anpflanzt. Ich unterscheide zwischen Probe- und Sortenbäumen, die ersten sollen bloß wissenschaftlichen Zwecken, ferner der Untersuchung über Aechtheit oder Unächtheit einer bezogenen Sorte, der Identität mit andern Sorten, der besonderen Charaktere, sodann der Prüfung über den

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_329.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)