Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 370.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ökonomische Bedürfniß und den vorhandenen Boden einerlei, was wir pflanzen, und wir haben den größten Schaden davon, wenn wir nicht mit Ueberlegung bestimmte Sorten, deren Eigenschaften und Benützung wir kennen, wählen können. Man frage sich nur, ob es den Winzern wohl je einfallen würde, einen Weinberg durch Kernsaat und anders als mit Reisern von einer bestimmten, bekannten Sorte anzulegen! Wir wünschten etwa jetzt Birnen zum Trocknen zu haben, und erhielten aus unsern Sämlingen Tafelfrüchte und umgekehrt; wir wünschten Winterbirnen und sehr haltbare Aepfel anzuziehen, aber die Sämlinge trügen dießmal früh reifendes Obst, und umgekehrt späte Sorten, wo es uns an frühen mangelte; könnte uns das gleichviel seyn? Wir hätten in der Nähe von Städten großen Vortheil von guten Marktfrüchten, erhielten aber zu viel Kochobst und spätreifende Früchte, oder umgekehrt, da wo wir von Märkten entfernt wohnten, zu wenig Haushaltsobst, würden wir da nicht den größten Schaden haben? und zwar einen Schaden, der, wenn er auch im allerglücklichsten Falle nur gering wäre, sich doch jährlich wiederholt und zuletzt sehr bedeutend wird! Und wäre, bei Vernachläßigung der Anpflanzung veredelter Stämme erst der bestimmte Name für die einzelnen Sorten wieder verloren gegangen, und mit ihm die Kenntniß, für welchen Boden und welches Bedürfniß jede Sorte am meisten passe, so würden wir noch weniger für besondere, eben vorliegende Bedürfnisse die Kerne zur Saat wählen können, sondern müßten zu Tafelobst, zu Most, zum Dörren etc. nur das nehmen, was wir in dem beschränkten Kreise unserer Umgegend dazu für gut fänden und erst ausprobirt hätten, oder was irgend Jemand, als dazu tauglich, uns schickt. Alles liegt am bestimmten Namen für jede Fruchtart und an einer immer allgemeiner werdenden richtigen Kenntniß einer gewissen Anzahl ausgesuchter Obstarten, ohne welche der Obstbau immer nur halben Werth hat, und nie mit allgemeinem Interesse betrieben werden wird.

Was ist denn schließlich von der weitern Anzucht unveredelter Sämlinge zu halten? Es will mir scheinen, daß wir bereits dahin gelangt sind, daß sie mehr nur noch einen wissenschaftlichen, als praktischen Werth behält. Im Größeren mag man unveredelte Sämlinge, da sie in der Regel sehr fruchtbar sind und dem speciellen Boden sich vom ersten Keime an angepaßt haben, auch Aepfel, Pfirschen und theils auch Kirschen und Pflaumen noch ziemlich gut nacharten, da anbauen, wo es einmal nach vorliegenden Umständen wenig darauf ankommt, was für Obst erzielt wird, wenn man vorerst nur vieles und wenigstens leidlich gutes hat, und selbst dann wird mancher Baum später umgepfropft werden müssen, und wird es meistens auch da, insofern man einen veredelten Baum doch höchstens nur um einen Silbergroschen theurer erzieht, als einen unveredelten, und diese selten schon von Kronenhöhe sehr gleich zu kaufen sein werden, besser seyn, veredelte Stämme anzubauen. Fortgesetzte Samenzuchten behalten zunächst einen wissenschaftlichen Werth, wenn sie mit mehr Genauigkeit und absichtlicherer Berechnung, als bisher, angestellt werden, und mehr Aufschluß über die unsern Obstvarietäten zu Grunde

liegenden Urarten[1], den Einfluß der Kreuzung,


  1. Die Frage nach den Stammeltern unserer Obstfrüchte bleibt immer von wissenschaftlichem und selbst praktischem Interesse. Man hat sie verschieden beantwortet, und während Manche alle unsere Kernobstfrüchte von dem Holzapfel nebst dem Johannisstamm und der Holzbirn ableiten wollen, nehmen Andere an, daß es ursprünglich gewiß sowohl
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_370.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)