Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 380.jpg

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Obstgärtner auf reichlichste Bewurzelung und zwar mit Recht, und sucht durch Bodenbearbeitung und Beschneiden die Wurzelbildung zu unterstützen und zu mehren; stellt sich nun aber in Folge eines reichen Wurzelvermögens, das bei Birnwildlingen eine Seltenheit ist, ein Ueberfluß von Säften ein, wodurch bei dem in seiner natürlichen Ausbildung durch Beschneiden zurückgehaltenen Zwergbaume die Bildung von Tragknospen erschwert wird, indem dieser Baum nun alle seine Säfte auf die Bildung von Holztrieben verwendet, droht der Baum dadurch in einen Zustand der Verwilderung zu kommen, so giebt es Mittel genug den allzuheftigen Trieb zu mäßigen, ohne den Baum zu verstümmeln und ihm seine Lebensorgane abzustoßen. Die Einrede, der Baum werde ja durch das Abschneiden der Zweige auch verstümmelt, behielte man besser für sich; denn dieses ist eine absolute Nothwendigkeit, wenn man einen Zwergbaum erziehen will; die Holzzweige welche entfernt werden, ersetzen sich wieder nach wenigen Monaten, während eine starke Wurzel mit ihren Bündeln zarter Haar-Wurzeln sich nicht alsbald wieder ersetzt. Ja, rufen sie aus, die Heere Wurzelabstoßer, die abgestoßene Wurzel erneuert sich dadurch doppelt, daß sie an der Stelle, wo die Wurzel abgestoßen wurde, ganze Bündel Haarwurzeln bilden, welche doppelten Ersatz für den Verlust gewähren. Mit dieser Tirade sollte man doch ganz daheim bleiben. Man wird folgendem Dilemma nichts Vernünftiges entgegen halten können. Entweder hat der Baum nicht mehr Wurzeln, als er zu seiner Ernährung und Fruchtansatz bedarf, oder er hat zu viel Wurzeln. (Von dem Falle, daß der Baum zu wenig Wurzeln hätte, kann aus nahe liegenden Gründen hier gar nicht die Rede seyn). Hat der Baum nur so viel Wurzeln als er nöthig hat, so darf man ihm auch, ohne großen Nachtheil keine Wurzeln nehmen; hat er aber zu viel Wurzeln und es wird durch das Abstoßen einer Hauptwurzel eine Menge neuer Haarwurzeln erzeugt, so hat man ja das Uebel noch ärger gemacht.[1]

Bekanntlich ist es eine allgemeine Klage, daß wenn Birnzwergbäume auf Wildlingsunterlagen eine Zeit lang fruchtbar waren, sich solche dann erschöpfen und keine neuen Holztriebe mehr hervorbringen, was seinen Grund darin haben muß, daß die Wurzeln dem Baume nicht mehr die gehörige Menge Säfte zuführen; dieser Uebelstand muß aber in dem Maaße größer werden, als man dem Baume die Organe genommen hat, wodurch er seine Nahrungssäfte aufnimmt, und wenn er nun endlich aufs äußerste geschwächt, keine Holztriebe mehr macht, aber um die Art zu retten, noch auf Kosten des Individuums Früchte ansetzt, so sind das die letzten Anstrengungen vor dem Tode. Wenn also bei einem starktreibenden Baume, durch Abstoßen der Wurzeln, der Knospenansatz nur auf Kosten des Baumes, d. h. seiner Lebensdauer und anhaltender Fruchtbarkeit, hervorgerufen wird, ist eine solche Procedur zu rechtfertigen? Wenn aber Früchte für die nächsten Jahre durch das Abstoßen wirklich

erzeugt werden, welche ohne dieses nicht


  1. Ich hoffe, es wird mir, einem großen Freund des Wurzelabstoßens bei Pyramiden auf Wildlingen, gelingen, meinen hochgeehrten Freund Hörlin bei seinem nächsten Besuch in Hohenheim durch viele deutliche Erfolge vollkommen zu überzeugen daß er Unrecht habe, dieses Verfahren, welches das sicherste und gefahrloseste ist, freiwachsende Bäume zur Fruchtbarkeit zu bringen, zu verdammen.
    Ls.
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_380.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)