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über dem Kreuzschnitt ausbreitete und gelegentlich durch sorgfältigere Behandlung in eine bestimmte Form brachte. Jetzt erst, nachdem das Wachs erkaltet war, wurde das Siegel mit dem eingedrückten Pergament von dem Stempel abgehoben.

Das Verfahren bei der Anfertigung der Hängesiegel war das gleiche, nur ward über den Rücken der Siegelplatte zunächst das Band, die Schnur oder der Streifen gelegt, vermittels deren das Siegel mit der Urkunde in Verbindung gebracht werden sollte, worauf erst über Platte und Befestigung der Siegelkörper mit der Hand geformt wurde. Das Hängesiegel trägt die Spuren der Handarbeit auf dem Rücken so unverkennbar zur Schau, daß es eines weiteren Beweises für diese Hantierungsart bei der Herstellung nicht bedarf.

Von mir in meiner Werkstatt vorgenommene Untersuchungen und Proben ergeben vollauf die Richtigkeit der oben mitgeteilten Untersuchungen Ilgens. Meine Untersuchungen haben aber auch weiterhin zu folgendem Ergebnis geführt.

Eine mehr oder weniger große Zahl von Siegeln (z. B. I, Taf. 14, 2; 21, 2) zeigt einen rings um den Kopf heiligenscheinartig herumlaufenden Einschnitt und innerhalb des letzteren eine Vertiefung gegenüber der den übrigen Körper umgebenden glatten Fläche[1]. Versuche ergaben, daß selbst bei stärkstem Drucke auf den Siegelstempel ein guter Abdruck des tiefliegenden Kopfes mit weichem Wachse schwer zu erzielen ist. Ich knetete deshalb den Kopf allein in die Matrize, ließ das Wachs an seiner Stelle, legte dann eine weiche Wachsschicht darüber und knetete diese über das ganze Siegel hinweg. Dadurch wurde ein vorzüglicher Abdruck der Kopfpartie und des übrigen Siegelbildes erzielt. Die beiden Wachskörper verbinden sich nämlich infolge des starken Druckes in einer Weise, daß der Abdruck von vornherein die zweifache Prozedur nicht mehr erkennen läßt. Erst wenn das Wachs nach Jahren an Fettgehalt verloren und dadurch in seinem Volumen abgenommen hat, treten die oben gekennzeichnete Linie und die Vertiefung hervor.

Auch die Münzsiegel (Doppelsiegel), wenn also das Siegel zweiseitig und der Stempel der Rückseite gleich groß ist, wurden durch Eindrücken, die größeren durch Eingießen, hergestellt. Nachdem die beiden Siegelplatten eingedrückt oder eingegossen waren, preßte man diese, während sie noch an den Stempeln hafteten, mit den Rückseiten, zwischen die zuvor die Siegelbefestigungen eingelegt waren, gegeneinander, das an den Rändern austretende Wachs glättete man mit einem scharfen Instrument. Dafür, daß Avers und Revers ohne Schwierigkeit gleichmäßig orientiert werden konnten, sorgten die Kopfösen der beiden Stempel.

Rücksiegel (Gegensiegel, Kontrasigill), die im 13. Jahrhundert aufkamen, sind in der Mehrzahl Aufdrucksiegel, zu deren Herstellung die Rücksiegelstempel bei ihrem kleineren Durchmesser und flacheren Bildschnitt sich ja auch bequemer gebrauchen ließen. Nur wenn das Wachs des Rücksiegels eine andere Farbe zeigt, als sie uns am Siegelkörper erscheint, hat man offenbar vorher einen dünnen Plattendruck in den Stempel eingepreßt oder gegossen und diesen dann mit Hilfe des letzteren in die vorbereitete Fläche eingesetzt, wie die geringe Dicke der roten Wachsschicht, die sich bei zerbrochenen Siegeln feststellen läßt, und der Umstand sprechen, daß die rote Wachsschicht mit dem Stempelrand abschneidet[2].

Wir erwähnten, daß sich beim Eindrücken des Stempels in die Wachsmasse ein erhöhter Rand bildete, diesen hat man offenbar zum Schutz des Siegelbildes stehen lassen. Man formte ihn zunächst auch noch bei den ältesten Hängesiegeln, ja er erhält sich hier und da noch durch das 13. Jahrhundert und länger.

Daneben bricht sich aber seit dessen erster Hälfte der Brauch Bahn, die angehängten Siegel in der Weise herzustellen, daß ihr äußerer Rand mit dem des Stempels haarscharf abschneidet. Und wiederum im 14. Jahrhundert nimmt dann die äußere Hülle des Siegels so bedeutend zu, daß ein breiter Überrand stehen bleibt, und der Stempelabdruck wie in einer Schale oder Schüssel ruht. Die Glätte und Gleichförmigkeit des Überrandes und des Rückens der Schüssel setzen deren gelegentliche Herstellung mit einer Form (Siegelmodel genannt) voraus. Tonangebend für diese Siegelform sind die herzoglich österreichische und die kaiserliche Kanzlei gewesen.

Unter dem Einfluß der fortschreitenden Papierbereitung hatte sich seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine eigenartige Manier zum Schutz des auf Papier aufgedrückten Siegels entwickelt. Man gab ihm einfach einen Papierüberzug, der durch den Stempeldruck mit dem Wachs verbunden wurde.

Spuren von Siegeln, die zum Verschluß gedient haben, sind erst aus dem Ende des 12. Jahrhunderts auf uns gelangt. Die Wahrscheinlichkeit spricht jedoch dafür, daß auch dieser Gebrauch des Siegels älter ist, so alt mindestens wie der Briefverkehr im Mittelalter überhaupt. Die Zahl der heute vorhandenen geschlossen gewesenen Briefe, die zunächst noch auf Pergament geschrieben sind, steigert sich seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts zusehends. Sehr erheblich tragen dazu die aus der kaiserlichen Kanzlei herrührenden Stücke bei. Das Siegel kam bei dieser Verwendung stets auf die Außenseite des Schreibstoffes zu stehen, und zwar haftete es auf der Seite, auf der die umgeschlagenen Flügel des Briefes übereinander lagen, an welcher Stelle auch die Pergamentstreifen zusammentrafen, die durch zwei mit der Schmalseite des zusammengefalteten Briefes parallel laufende Schnitte gezogen waren. Die Öffnung erzielte man in der Regel durch Zerschneiden der Haltestreifen. Meist wurde freilich dabei auch das nur mit dünner Wachsschicht aufgesetzte Siegel beschädigt[3].


  1. Sybel und Sickel, Kaiserurkunden in Abbild., Text 355.
  2. Ilgen a. O. I. 4, 23.
  3. Ilgen a. O. I. 4, 12. 24. Vgl. dort auch die verschiedenen Verschlußverfahren späterer Jahrhunderte.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0146.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)