Seite:Posse Band 5 0147.jpg

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Nicht anders war, wie erwähnt, die Herstellung des Wachssiegels, als es Mode wurde, die Siegel nicht mehr aufzudrücken, sondern anzuhängen. An echten Urkunden Lothars III.[1] und Konrads III.[2] finden sich noch keine hängenden Wachssiegel.

Erst unter Friedrich I., im Jahre 1159[3], kam in der Reichskanzlei das Hängesiegel in Anwendung, und zwar zuerst während deren Verweilen auf italienischem Boden für einen italienischen Empfänger (St. 3864), zugleich aber auch während des Kaisers damaligen dreijährigen Aufenthaltes daselbst zur Besiegelung von Urkunden auch für deutsche Empfänger.

Nach Friedrichs I. Rückkehr nach Deutschland (gegen Ende 1162) wird dann der Gebrauch des Hängesiegels immer häufiger, bis das aufgedrückte Siegel


  1. Die Urkunden Lothars III. St. 3247 und 3323 sind mit Hängesiegeln versehen. St. 3247 ist eine Fälschung des ersten Viertels des 13. Jahrhunderts (S. 117) und St. 3323 ist in der Kanzlei Friedrichs I. entstanden, unter dessen Regierung das Hängesiegel aufkam. Die nachgezeichnete Urkunde Lothars ist von Friedrich I. auf demselben Blatte konfirmiert. Er ließ sein Siegel und dasjenige Lothars, welches von des letzteren Urkunde abgelöst war, anhängen. Vgl. II, 5. Beurkundung und Besiegelung.
  2. Für die Kanzlei Konrads III. kommen folgende fünf Urkunden mit Hängesiegeln in Betracht:
    a) St. 3373, 3565 (Or. Bibl. Stuttgart) und St. 3623 (Urk. Friedrichs I. Or. Brüssel), alle drei Urkunden für das Kloster St. Remy zu Rheims. Schon Breßlau (Mitteil. des Öst. Inst. 6, 112 Anm. 2) erschienen St. 3373 und 3565, auch ohne Autopsie der Originale, nicht unverdächtig. Eine nähere Untersuchung derselben ergibt nun, daß das Siegel 3373 durch und durch rot gefärbt, der Abdruck wenig scharf und wohl nach einer Matrize gemacht ist. Das ursprüngliche echte Siegel an St. 3565 ist durchgebohrt und der Lederriemen so durchgezogen, daß er in der Mitte des Siegels durchscheint. An beiden Urkunden und an St. 3623 ist zur Befestigung der Siegel ein sehr starkes Alaunleder, wohl vom gleichen Stücke, verwendet worden. Die Schrift von St. 3373 und 3565 scheint eher der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts anzugehören und zeigt vielfach Ähnlichkeit mit St. 3566 (für Siegburg), 3372 (für Stablo), 3373 (für St. Remy). Eine weitere Untersuchung der Schrift aller genannten Urkunden dürfte ergeben, daß die Urkunden Konrads III. vom Empfänger, und zwar erst unter Friedrich I., mit Benutzung echter Siegel hergestellt sind. Vgl. auch Ficker, Beiträge 1, 354.
    b) St. 3396 (Or. Lille) für Kloster Vaucelles habe ich nicht untersucht.
    c) St. 3400 (Or. Bern) für Kloster Trüb. Die Unechtheit der Urkunde ist nachgewiesen: Fontes rer. Bernens 1, 412. Das Siegel ist mit Pergamentstreifen so unordentlich angehängt, daß es ganz schief liegt.
    d) St. 3476a (Or. Mantua). Die Urkunde ist, wie sie vorliegt, unecht. Es scheint eine echte Vorlage nachlässig und ohne genügende Beachtung der Abkürzungszeichen schon vor 1293 Okt. 1 nachgebildet zu sein. Das Siegel, welches verloren ist, hing an einem Bande (!) von hellbrauner Seide. Vgl. Ficker, Forsch, zur Reichs- u. Rechtsgesch. Italiens 4, 157.
    e) St. 3579 (Or. Univ.-Bibl. Heidelberg) für Kloster Walburg. Die Schrift ist nicht kanzleimäßig und eher dem Ende des 12. Jahrhunderts zuzuweisen. Chrismon, Rekognition, Monogramm fehlen. Am Bug befindet sich ein dünner, ungeschickt befestigter Pergamentstreifen, Spuren von einem daran befestigt gewesenen Siegel sind nicht wahrzunehmen. Der Text scheint auf Grund eines Aktes vom Kloster Walburg angefertigt worden zu sein.
  3. Von Urkunden Friedrichs I. bis 1159, mit Hängesiegeln, lassen sich folgende als Fälschungen bez. spätere Ausfertigungen nachweisen:
    a) St. 3623 (Or. Brüssel). Vgl. S. 146, Anm. 2a.
    b) St. 3739 (Or. Utrecht). Die Urkunde stammt von Empfängerhand; an ihr hängen verblaßte braune, früher rote, sehr lange Seidenfäden, die nicht die geringste Spur zeigen, daß jemals ein Siegel daran befestigt war. Die Schrift ähnelt der einer Urkunde des Bischofs Gotfried von Utrecht vom Jahre 1164, für denselben Empfänger, das Marienkloster zu Utrecht. Hier auch derselbe für eine Kaiserurkunde ungewöhnliche Eingang: ego Godefridus (St. 3739: ego Fridericus d. g. Rom. imp.). Die Urkunde scheint auf Grund eines Aktes – Datierung: Acta sunt hec Traiecti a. d. i. 1156 – hergestellt zu sein; man wollte sie gelegentlich besiegeln lassen, was jedoch unterblieb. Da die Urkunde einen jüngeren Schriftduktus verrät als die Gotfrieds, so dürfte sie erst nach dem Jahre 1164 angefertigt sein.
    c) St. 3741 (Or. Hannover). Die Urkunde, ohne Datum, von Stumpf zur Königszeit eingereiht, obgleich der Aussteller sich nennt: F. d. g. Rom. imperator et semper augustus. Das an Pergamentstreifen hängende Siegelbruchstück = Taf. 22, 1. Die Urkunde ist wahrscheinlich Kopie einer zum Jahre 1188 gehörenden Urkunde.
    d) St. 3750 (Or. München. II, Taf. 49, 5) ist eine Fälschung aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts (vgl. S. 118).
    e) St. 3759 (Or. Worms). Fälschung 13. Jahrhundert, wie Stumpf, Wien. Sitzungsber. der hist.-phil. Cl. 32, 603 nachgewiesen hat. Als Vorlage wenigstens für die Komposition der Zeugenreihe dienten St. 4052 und 4370. Das verlorene Siegel hing an einem Pergamentstreifen.
    f) St. 3796 (Or. Graz). In Form und Besiegelung höchst verdächtig, doch haben dieser Urkunde jedenfalls echte Daten zugrunde gelegen. Vgl. Ficker, Beiträge 2, 137. Archivdirektor v. Zahn teilte mir mit, daß die Textschrift scheinbar der Zeit angehört und mager ist. Kanzlei- und Datierungsschrift sind von anderer und kräftiger Hand, Handschriftenschrift sehr ähnlich. Das der Stempelauflage ganz entblößte Siegel ist durchaus unkorrekt und gleichsam weich von grober Hand verquetscht. Die Anhängung desselben ist ebenfalls gegen die Regel, und hängt es an einem dem einzigen Einschnitte entnommenen Pergamentstückchen. Die Bildfläche des Siegels ist nicht gegen den die Urkunde öffnenden Beschauer gekehrt, sondern nach außen gewandt.
    g) St. 3799 (Or. Zürich). Fälschung Ende 12. und Anfang 13. Jahrhundert. Das Siegel, das in der rechten unteren Ecke stand, ist herausgeschnitten, so daß sich jetzt ein viereckiges Loch an der Stelle des Kreuzschnittes befindet, während der weiterreichende Umfang des Siegels selbst noch an der bräunlichen Färbung des Pergamentes erkennbar ist. Außerdem finden sich am unteren umgelegten Rande des Pergamentes noch zwei Löcher, die für eine Siegelschnur bestimmt erscheinen. Nach St. 3798 wird für die Datierung, vielleicht auch für die Zeugen eine echte Urkunde Kaiser Friedrichs I. aus dieser Zeit benutzt sein. Aber diese dürfte weder Signumzeile, noch Rekognition gehabt haben, da für beide eine Urkunde Konrads III. benutzt wurde. Der Kanzlername ist Arnold statt Reinald. Das in Form eines F gebildete Chrismon und das Monogramm Konrads III. anstatt Friedrichs, ganz wie bei St. 3682 (Fälschung), insbesondere auch, daß sich der auffallende Zeuge Graf Kuno von Tettnang wiederfindet, sprechen für eine Benutzung von St. 3682. Vgl. Ficker, Beiträge 2, 478.
    h) St. 4126 (Or. München). Für den Text bildete überhaupt keine Königsurkunde die Vorlage, sondern der Traditionsakt Mon. boica 22, 60. Was hier im Grafengerichte geschehen, verlegt der Fälscher an den Hof des Kaisers; auch die Zeugen niederen Ranges sind zum großen Teile jenem Akte entnommen. Für das Protokoll bedurfte der Fälscher einer anderen Vorlage und fand diese in St. 4349. Daß er dieser nun auch eine Reihe von Zeugen entnahm, ist um so erklärlicher, als die Zeugen eines Grafengerichts doch für eine Kaiserurkunde kaum ausreichend erscheinen konnten. Freilich begnügte er sich nicht mit bloßer Komposition, sondern änderte die ihm vorliegende Jahresangabe 1182 in 1171, dadurch nun in Widerspruch mit der Rekognition geratend. Aber die Abweichung dürfte ihren ausreichenden Grund hier darin gehabt haben, daß die Tradition [147] selbst, die ja keineswegs erfunden ist, eben 1171 stattgefunden haben wird. Ficker, Beiträge 1, 24.
    i) St. 4133 (Or. München). Angebliches Original von 1172 mit echtem Siegel, aber nach Stumpf erst Ende des 13. Jahrhunderts geschrieben. Fehlt im Titel das dei gratia, so mag das die Annahme stützen, daß das Stück nicht aus der Reichskanzlei hervorgegangen ist, aber absichtliche Abweichung ist das sicher nicht. Vergleichen wir nun aber weiter Protokoll und Zeugen mit St. 4132 von demselben Tage, das aber selbst nicht als Vorlage ausgereicht hätte, so wird gar kein Zweifel bleiben, daß jene einer echten Vorlage genau entnommen sein müssen. Ficker, Beiträge 1, 34.
    k) St 4139 (Or. Altenburg verloren). Nach einem Faksimile bei Estor, Kl. Schriften 3, 368 Fälschung des 14. Jahrhunderts. Die Zeugen sind der Urkunde des Bischofs Udo von Naumburg 1172 (Cod. dipl. Sax. reg. I. 2, 385) entnommen, der Aussteller der letzteren Urkunde ist unter die Zeugen versetzt worden.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0147.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)