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Porträtwert des Gesichtes zu schätzen wußte: um den Altersunterschied zu zeigen, stellt man lieber die ganzen Gestalten in verschiedener Größe dar, offenbar traut man sich noch nicht die Fertigkeit zu, die Jugendlichkeit nur im Gesicht wiederzugeben. Und das tritt auch unter Heinrich IV. zu Tage, wo eine Ähnlichkeit offenbar angestrebt wurde, die Gestalten dem jedesmaligen Alter des Fürsten entsprechen, anfangs kindliche Züge und[WS 1] Formen zeigen, später aber den Jüngling und Mann darstellen. Für die gleiche Anschauung spricht ferner die wiederholte Bezeichnung des Siegels in der Korroborationsformel als sigillum oder signum nostre imaginis[1].

Ist also seit dem 11. Jahrhundert Porträtähnlichkeit angestrebt worden, so hat doch nicht immer das Können dem Wollen des Künstlers entsprochen. Wieweit dieser seiner Aufgabe gerecht geworden, wird sich oft nur in Einzelfällen feststellen lassen. Anhaltspunkte für die Beurteilung bieten Vergleichungen der Siegel mit anderen Darstellungen, deren Siegel und der Siegel der Vorgänger mit- und untereinander. So liegen bei Friedrich I. (I, Taf. 21, 2; 22, 1) offenbar porträtmäßige Siegel vor, da die Ähnlichkeit des Kopfes mit dem gleichzeitigen Basrelief des Kaisers im Kreuzgange des Klosters St. Zeno bei Reichenhall, sowie des Basreliefs des Domes zu Freising[2] und der Porträtbüste, als Kopfreliquiar in Kappenberg, unverkennbar ist[3].

So ist auch, worauf Philippi aufmerksam macht[4], unleugbar die wenn auch nur allgemeine Ähnlichkeit der Köpfe auf dem Königs- und Kaisersiegel Friedrichs II., die nach ihrer Anfertigungszeit 5–6 Jahre auseinander liegen (I, Taf. 27, 6; 28, 1). Beide zeigen ein langes, schmales Gesicht mit spitzem Kinn, trotzig zugekniffenen Lippen und willenskräftig herabgezogenen Mundwinkeln. Diese Darstellungen stehen auch der capuaner Statue nicht fern.

Der Kopf Heinrichs (VII.) ist höchst charakteristisch und individuell in der Zeichnung von Stirn, Augen und Mund. Offenbar hat der Künstler das Gesicht des energischen, eigenwilligen Königsknaben nicht nur wiedergeben wollen, sondern es ist ihm auch durchaus gelungen.

Auf den Siegeln Rudolfs I. ist der Kopf des Herrschers ohne jeden individuellen Ausdruck wiedergegeben. Abgesehen von der Bartlosigkeit läßt sich kein persönliches Charakteristikum hervorheben. Daran muß auch für die folgenden Herrscher bis in das 15. Jahrhundert festgehalten werden. Eine annähernd porträtmäßige Darstellung läßt sich auf Siegeln erst bei Sigismund feststellen. Sein Vorgänger Wenzel benutzte als Thronsiegel während seiner ganzen Regierung das Königssiegel Karls IV., indem nur der Name des Herrschers in der Umschrift des Stempels von „Karolus“ auf Wenzel verändert wurde (II, Taf. 1, 3; 8, 1). Die Porträtmäßigkeit der beiden Siegel Karls IV. (II, Taf. 1, 5[WS 2]; 3, 4) ist kaum um vieles vorgeschrittener als auf denen König Rudolfs. Das zeigt ein Vergleich mit dem gewiß individualisierenden Profilporträt Kaiser Karls mit seiner dritten Gemahlin Anna v. Schweidnitz in der Katharinenkapelle zu Karlstein. Als einziges persönliches Charakteristikum kann man den gestutzten Vollbart des Herrschers auf den beiden Siegeln, von denen das zweite, das kaiserliche Thronsiegel, noch beträchtlich roher gearbeitet ist, anführen. Es muß eben berücksichtigt werden, daß die Siegel vermöge ihrer rein repräsentativen Bestimmung, wobei das persönliche und individuelle Moment weit weniger in Betracht, kommt als z. B. bei einem zum Andenken an den gemeißelten Grabstein, und wegen der in so geringen Dimensionen gehaltenen en-face-Darstellung überhaupt nur ganz äußerliche Züge wiedergeben können[5].

Seit Erlaß der Kanzleiordnung Ferdinands I. (1559) verschwindet für immer das Porträtsiegel aus der Reichskanzlei, an seine Stelle tritt das Wappensiegel. Nur die Averse des großen ungarischen Doppelsiegels zeigen noch den thronenden Kaiser. Daß man auch da bestrebt war, Porträtähnlichkeit zu erzielen, erhellt daraus, daß man bei Adaptierung der Stempel für den Nachfolger durch Änderung der Umschriften, auch die Kopfpartien, freilich zumeist ohne großen Erfolg änderte. Hingegen sind die ungarischen Doppelsiegel aus der Zeit der Habsburger, die Siegel Ferdinands I. (III, Taf. 26, 1; 27, 1) und Maximilians II. (III, Taf. 33, 3; IV, Taf. 76, 1) nicht unbedeutende Schöpfungen der Kleinkunst, die ebenso Porträtähnlichkeit anstreben, wie die Thronsiegel Maria Theresias, die die Hofkanzlei für ungarische und niederländische Angelegenheiten verwendete (IV, Taf. 21, 4; 27, 2; 29, 1; 30, 1).

Einen neuen Siegeltypus, das Wappensiegel, schuf die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts. Einige Grafen zogen es vor, wappenmäßige Bilder an die Stelle des Porträts zu setzen, wodurch eine neue Siegelform, der die Form des Kampfschildes zu Grunde liegt, Eingang fand[6].

In der Reichskanzlei sind Wappensiegel erst am Ende des Zwischenreichs, und zwar seit Rudolf I. zur Anwendung gekommen. Seitdem wird der einfache oder zweiköpfige Adler die herrschende Wappenfigur. Der einfache Adler, den Rudolf I. auf seinem Rücksiegel frei im Siegelfelde führte (I, Taf. 41, 5), erscheint auch auf dem Sekrete Albrechts I. (I, Taf. 45, 3), ebenso auf dem Rücksiegel Heinrichs VII. (I, Taf. 47, 2), auf den Rücksiegeln und Sekreten Ludwigs IV. (I, Taf. 50, 6; 51, 3. 4), sowie Friedrichs des Schönen (I, Taf. 53, 8). Zum ersten Male findet sich bei diesem die Verbindung des Hauswappens mit dem Reichsadler. Hier trägt auf einem Sekrete der Adler zum ersten Male das Hauswappen des Fürsten, nämlich den österreichischen Bindenschild auf der Brust. Als Muster haben dessen österreichischen Sekrete gedient, die im Siegelbilde den steierischen Panther mit dem Schilde Österreichs belegt zeigen, wie das nachher


  1. Geib a. O. 121.
  2. Heffner, Trachten des deutschen Mittelalters 1, Taf. 23, 25.
  3. Württemberg, Vieteljahrszeitschrift 1875 S. 4.
  4. Reichskanzlei S. 59.
  5. Haberditzl in Mitteil. des Inst. f. österr. Gesch. 29, 640.
  6. Seyler a. O. 87.
  1. Vorlage: nnd
  2. Vorlage: I, Taf. 1, 5
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0156.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)