Seite:Posse Band 5 0161.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

versorgt, die vielfach auf Purpur gestickte oder gewebte goldene einköpfige oder Doppeladler enthielten.

So ist wohl auch der deutsche Doppeladler, wie er unter Ludwig IV. auftritt, durch Zusammenziehung zweier einköpfiger Adler entstanden.

Wenn man bedenkt, daß in Deutschland, im Vergleich zu seinen westlichen Nachbarländern, die Heraldik erst spät erblüht ist, und in einer Zeit, wo jene Staaten schon zu festen heraldischen Normen übergegangen waren, in Deutschland noch vollste willkürliche, daher lebensfrohe Regellosigkeit herrschte, dann läßt sich auch verstehen, warum das Ausland, in unserem Falle England, aus den willkürlich dekorativ paarig angeordneten Adlern auf Münzen der deutschen Kaiser im 13. Jahrhundert einen doppelten Adler zum deutschen Reichswappen machen konnte[1].

Die im 10. Jahrhundert geschaffenen starren Formen hatten sich fortgeerbt, dadurch wird es erklärlich, daß sich das Königs- und Kaisersiegel so lange abwehrend gegen die Aufnahme des Reichswappens verhielt. Erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errang durch die damals neuaufkommende Siegelgattung, das Sekret, der einköpfige Adler, seine Stellung. In das größere Siegel ist der Doppeladler erst zu Wenzels Zeit dauernd aufgenommen worden, denn auch Ludwig IV. kehrte in seinem zweiten Kaisersiegel zu den alten überlieferten Formen zurück, und auch unter Karl IV. ist nach den Siegeln das offiziell geführte Reichswappen ein einköpfiger Adler, dem an zweiter Stelle das Wappen von Böhmen koordiniert wird.

Das böhmische Thronsiegel Wenzels (II, Taf. 7, 2), hat vielfach ein kleines umschriftloses Rücksiegel, das einen doppelten Adler, belegt mit dem böhmischen Wappen als Brustbild, darstellt (II, Taf. 7, 3. 4) und zuerst 1363 Juli 25 bez. 1371 Mai 12 nachweisbar ist.

An dieses erste Auftreten des Doppeladlers im Siegel knüpfen nun die meisten Heraldiker an als Zeitpunkt der Anwendung als Reichswappen[2]. Hingegen teilt Lindner die Ansicht Köhnes, die bereits von v. Herzberg und Gercken vertreten war, daß sich der Doppeladler hier aus der Verbindung des brandenburgischen und schlesischen Adlers hervorgegangen darstelle. Allerdings ist es auffällig, daß der Doppeladler schon auf dem böhmischen Thronsiegel Wenzels (II, Taf. 7, 2. 3) noch vor seiner Wahl zum römischen König vorkommt, und Wenzel dieses Rücksiegel auch als solches für sein römisches Königssiegel beibehielt.

Bereits Römer-Büchner hat hiergegen Einwendungen erhoben[3]. Denn, wenn schon Wenzel im Jahre 1363 und vor seiner Belehnung mit Brandenburg 1373 und noch nach seiner Königswahl 1376 dieses Siegel gebrauchte, so kann an einen brandenburgischen Adler nicht gedacht werden.

So dürfte deshalb auch die Behauptung v. Köhnes, der sich neuerdings Gritzner anschließt, zurückzuweisen sein, daß auf der Vorderseite des böhmischen Königssiegels (II, Taf. 7, 2. 3) nur das böhmische Löwenbild allein erscheine, dagegen die Umschrift noch die Titel: „Brandenburgensis et Lusacie marchio, Luczemburgensis et Slezie dux“ führe, das Rücksiegel in monogrammatischer Zusammensetzung Brandenburg und Schlesien vertrete. Diese letzteren, sowie der aufgelegte Herzschild: Böhmen, Luxemburg, Ober- und Niederlausitz sind aber, entgegen jener Behauptung, in sechs Schilden auf der Vorderseite vertreten. Es kann also jenes Doppeladler-Rücksiegel, mit dem böhmischen Schilde nicht den Zweck gehabt haben, diejenigen Titelumschriften, die auf der Vorderseite nicht durch Wappen vertreten waren, auf der Rückseite des Siegels zu heraldischer Erscheinung zu bringen, würden da doch auch Luxemburg und die beiden Lausitzen, die ebenfalls in der Titelumschrift Platz haben, nicht vertreten sein.

Wir sahen bereits, daß schon zu Ludwigs IV. Zeiten die Anschauung auch in Deutschland Verbreitung gefunden hat, daß der Doppeladler als Reichswappen anzusehen sei, ihn führten auch Ludwig IV. und Karl IV. auf den Goldmünzen. Ein ungewöhnliches Interesse für heraldische Darstellung gibt sich darin kund, daß Karl IV. bereits seinem noch in der Wiege liegenden, erst sechs Monate alten Sohne Wenzel ein Siegel stechen läßt, darstellend einen achteckigen Schild mit dem böhmischen Löwen (II, Taf. 7, 1) und der Umschrift: Sigillum Wenzeslai dei gratia heres regni Boemie, ferner, daß er ihm im Alter von zwei Jahren, 1363 zum Könige von Böhmen gekrönt, ein großes die Titelumschrift durch Besitzwappen erläuterndes schönes Majestätssiegel (II, Taf. 7, 2. 3) und dazu noch als Rücksiegel das Doppeladlersekret stechen läßt. Ist nun aber, wie wir sahen, dieses Rücksiegel offenbar nicht geschaffen, um, wie man bisher annahm, als Ergänzung für die im Titel vertretenen, auf der Vorderseite des Siegels nicht zur Darstellung gekommenen Länder zu dienen, so fragt man, was denn eigentlich dieses kleine Siegel zu bedeuten habe. Die zweifellos nächste und ungezwungenste Erklärung ist bereits von Römer-Büchner gegeben, der annimmt, daß der Doppeladler die Würde Wenzels als kaiserlichen Prinzen bezeichnen solle, zumal auch dessen Stiefschwester Bianca aus der ersten Ehe mit Karl IV., in ihrem Siegel den Doppeladler führt, dessen Brust mit dem angeheirateten österreichischen Bindenschild belegt ist[4]. Der Doppeladler ist somit hier als Prätensionswappen anzusehen, daß dem luxemburger Hause ein Recht auf den Kaiserthron zustehe. Anspruch auf diesen erhob ja auch Sigismund, der zweite Sohn Karls IV., sofort bei Absetzung Wenzels (1400) und als Wenzel 1402 Böhmen dem Sigismund, König


  1. Gritzner a. O. 93.
  2. Gritzner a. O. 102.
  3. Erst im Jahre 1373 belehnte Karl IV. seine Söhne Wenzel, Sigismund und Johann mit der Mark Brandenburg, 1374 hob er die Belehnung wieder auf und vereinigte Brandenburg mit Böhmen. Dann trennte er Brandenburg von Böhmen und gab das erstere seinem Bruder Sigismund. Wenn aber Wenzel vor 1373 und, nachdem er deutscher König geworden, noch 1376 dieses Siegel gebrauchte, so kann an einen brandenburger Adler hierbei nicht gedacht werden.
  4. Abgebildet Gruber, Kurzgef. Lehrsystem 1789. Taf. II.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0161.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)