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einem besonderen Schreiben dem Reichskammergericht übermittelte. Es waren drei Siegel, ein größeres, zur Fertigung insinuierter hoher Standeserhebungen und sonstiger kaiserlicher Privilegien, ein mittleres zur Ausfertigung von Prozessen, Urteilsurkunden u. a. dergl. gerichtlichen Expeditionen. Dazu kam später noch als drittes Siegel hinzu ein kleiner silberner Stempel (IV, Taf. 64, 2; 66, 3), dessen man sich in geringeren Fällen, z. B. bei Fertigung der Kammerpässe usw. zu bedienen pflegte.

Die Stempel wurden nach dem Ableben des Reichsoberhauptes oder nach beendetem Interregnum an die Höfe nie wieder zurückgesandt, sondern kassiert oder zerschlagen[1].

Das große und kleinere Reichskammergerichtssiegel Karls V. (IV, 67, 5. 6) sind ausgestattet wie dessen Reichsregimentssiegel (III, Taf. 18, 4; 19, 4). Unter seinem Nachfolger Ferdinand I. sind beide dann verändert worden (IV, Taf. 68, 1. 2). Beide erhalten eine zweireihige Umschrift. Der Brustschild des Doppeladlers des großen entspricht dem des mittleren Siegels (III, Taf. 23, 3), das des kleinen dem Kaisersekret der Reichshofkanzlei (III, Taf. 23, 5).

In dieser Gestalt sind beide Reichskammergerichtssiegel nachweislich bis Leopold I. – Siegel Josefs I. und Karls VI. sind bisher nicht bekannt geworden – in Gebrauch geblieben (IV, Taf. 68, 3; 69, 4. 5). Die Siegel Karls VII., deren Stempel noch erhalten sind (IV, Taf. 70, 1–3), zeigen, wie seine übrigen Siegel, einen ganz veränderten Brustschild; der Adler hält in der Rechten Zepter und Schwert, in der Linken den Reichsapfel.

War der König längere Zeit an der Regierung verhindert, namentlich wenn er zu längerem Aufenthalt sich nach Italien begab, so pflegte er einen Reichsverweser zu ernennen. Stand dem Kaiser ein Sohn als römischer König zur Seite, so war dieser der von selbst gegebene Vertreter, in anderen Fällen hatte der König diesen frei zu bestimmen[2].

Im 12. Jahrhundert betrachtete man den Erzbischof von Mainz als denjenigen, der vor anderen Berücksichtigung zu beanspruchen hätte. Als Friedrich II. nach Italien zog[3], wurde von ihm spätestens im Frühjahr 1242 der Landgraf Heinrich Raspe von Thüringen zum Reichsverweser (sacri imperii per Germaniam procurator) ernannt. Daraus ergibt sich, daß damals das Vikariat der Häuser Pfalz und Sachsen in Abwesenheit der Kaiser noch nicht bestand. Und auch noch im Jahre 1367 ernannte Karl IV. seinen Bruder zum Reichsvikar in Deutschland. Wenzel bediente sich als solcher seines gewöhnlichen Siegels, ohne jedes Abzeichen dieser Würde, und ohne daß diese in der Umschrift erwähnt würde (II, Taf. 5, 5); er nannte sich „dyseit dess Lampartischen gebirgis gemein vicarien in allen landen“.

Von Karl IV. erwirkte der Pfalzgraf 1375 für sich und seine Nachfolger die Anerkennung des Reichsvikariats in den Fällen der Romfahrt. Als König Wenzel von den Böhmen gefangen und dadurch verhindert war, selbst Vorsorge zu treffen, proklamierte sich der Pfalzgraf bei Rhein als Reichsverweser, als aber Wenzel 1402 Böhmen an Sigismund, den zweiten Sohn Karl IV., Königs von Ungarn, als Reichsverweser übertrug, führte dieser als sigillum imperii das Doppeladlersiegel (II, Taf. 13, 1. 2) bis zu seiner Königswahl 1410, wenngleich er auch nicht als Reichsverweser anerkannt wurde[4].

Sonst beschränkte sich das Reichsvikariatsrecht der Pfalzgrafen bei Rhein auf die Zeit der wirklichen Thronerledigung. Seine Entstehung ist unklar, ebenso das konkurrierende Recht der Herzöge von Sachsen. Durch die goldene Bulle (1356) wurde eine bestimmte Gebietsabgrenzung für beide angeordnet, indem das Reich in zwei Gebiete, das des fränkischen und das des sächsischen Rechts, eingeteilt und das erste dem Pfalzgrafen, das zweite dem Sachsen als Reichsvikar überwiesen wurde.

Das pfälzer Haus würde sein 1375 erwirktes Recht in Zukunft behauptet haben, wenn nicht nachher Kurfürst Philipp von der Pfalz in die Reichsacht gefallen wäre. Daher sah sich Maximilian I. veranlaßt, das Reichsvikariat in seiner Abwesenheit dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen von Sachsen zweimal 1496 und 1507 anzuvertrauen (der römisch kaiserlichen Majestät und derselben reichsstatthaltergeneral).

Seit dieser Zeit wollten sich nun die Kurfürsten von Sachsen von der Reichsverwesung bei Abwesenheit des Kaisers weiterhin nicht mehr ausschließen lassen, wenn auch schon dem Kurfürsten von der Pfalz sein Privilegium 1521 Juli 28 ausdrücklich bestätigt worden war.

Nach langen Streitigkeiten einigte man sich endlich dahin, daß den Wahlkapitulationen Kaiser Karls VII. und seiner Nachfolger inseriert wurde, daß die Vikarien des Reichs bei ihren uralten, in der goldenen Bulle und dem unverrückten Herkommen gegründeten Rechten der Verwesung des Reichs, sowohl nach Absterben eines römischen Kaisers oder Königs, als auch bei dessen langwieriger Abwesenheit außer Reichs oder wenn derselbe das Regiment selbst zu führen behindert werden sollte, unbeeinträchtigt bleiben sollte.

Von den ältesten Reichsvikariatssiegeln sind bisher nur die pfälzer, und zwar aus den Jahren 1558, 1576, 1612, 1619 und 1658 (IV, Taf. 58, 7; 59, 2. 3. 5; 60, 2) bekannt geworden. Das älteste sächsische stammt aus dem Vikariate von 1711 (IV, Taf. 60, 5. 6), die Siegel der Vikariate von 1740, 1745, 1790 und 1792, und zwar die der Pfalz (IV, Taf. 61, 1–7; 62, 3. 4; 63, 1–4; 65, 1. 2), von Sachsen (IV, Taf. 61, 862, 2. 5–6; 63, 5. 6; 65, 3. 4).


  1. Danach existieren die Stempel zu den kaiserlichen Siegeln des Reichskammergerichts und den Vikariatssiegeln nicht mehr. Vgl. S. 142.
  2. Schröder, Deutsche Rechtsgesch. 467f. – v. Römer, Sächs. Staatsrecht 1, 305f.
  3. BF 4457, 4861. Urkunde Konrad IV. 1242 Mai 1: quem augustus pater noster procuratorem nobis et imperio deputavit per Germaniam.
  4. Vgl. S. 160.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0182.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)