Seite:Posse Band 5 0183.jpg

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Hatte der König für den Fall seiner Abwesenheit einen Reichsverweser oder Statthalter bestellt, so war dieser in der Regel auch befugt, statt des Reichshofgerichts ein ebenso zusammengesetztes, aber von ihm gebildetes und an seine Person gebundenes Reichsvikariatsgericht abzuhalten. Ebenso lag die Sache hinsichtlich des Reichsvikariatsgerichts des Pfalzgrafen bei Rhein und des Kurfürsten von Sachsen in dem Falle einer Thronerledigung.

Ein anderes Recht der Reichsvikare besteht in der Anordnung der Reichsvikariatshofgerichte, die sie an ihren Höfen niedersetzten. So Kurpfalz (IV, Taf. 58, 4–6; 59, 1).

Auch übten die beiden Reichsvikare die oberste Gerichtsbarkeit im Reiche aus. Sobald daher ein Zwischenreich eintrat, erließen sie sogleich an das Reichskammergericht eine Notifikation, worin sie den Antritt des Vikariats meldeten und diesem Gerichte zugleich ein Siegel (Pfalz 1519 IV, Taf. 58, 2. 3) und seit dem Jahre 1612 (IV, Taf. 59, 4. 6)) das üblich gewordene gemeinschaftliche Vikariats-Kammergerichtssiegel zufertigten, mit dem Hinweis, sich dessen während des Zwischenreiches zu bedienen.

Im Jahre 1612 (nach dem Tode Rudolfs II.) verglichen sich nämlich Kurpfalz und Kursachsen dahin, daß alle Ausfertigungen des Kammergerichts unter gemeinschaftlichem Namen und Siegel beider Vikarien geschehen sollen. Es wurde hierbei für das Siegel der Doppeladler mit zwei Herzschilden angenommen. In dem rechten Herzschild befindet sich der Reichsapfel, in dem linken die Kurschwerter. Die Umschrift lautet: Palatinus et Saxoniae vicarii vacante imperio anno 1612 (IV, Taf. 59, 4)[1].

Im folgenden Vikariate 1619 wurden die früheren Titel und Siegel mit verändertem Namen des einen Vicarius, weil Kurfürst Friedrich zu Pfalz indessen majorenn geworden, und mit veränderter Jahreszahl beibehalten (IV, Taf. 59, 6).

Im Jahre 1657 ging mit dem Siegel außer der Jahreszahl keine Veränderung vor (IV, Taf. 60, 3), nur daß in der Umschrift statt „Palatinus Bavariae“ gesetzt wurde.

Im Jahre 1711 hatte infolge der kurbayerischen Acht Kurpfalz wiederum das Vikariat. Es beeilte sich alsbald, ohne Sachsen zu befragen, mit der Übersendung eines gemeinschaftlichen Titels oder Eingangs zu den kammergerichtlichen Ausfertigungen und eines gemeinschaftlichen Siegels, mit der Mitteilung, daß alles nach dem Herkommen eingerichtet sei. Auf dem Siegel war der Doppeladler mit zwei Herzschilden, rechts mit dem Reichsapfel, links mit den Kurschwertern. Umschrift: Palatinus et Saxo vicarii vacante imperio 1711 (IV, Taf. 60, 7. 8). Sachsen stimmte dem zu.

Im Jahre 1740 gab die gemeinschaftliche Ausübung des rheinischen Vikariats die Veranlassung, daß Sachsen sich mit Kurbayern dahin einigte, dem Kammergericht für jedes Vikariat ein besonderes Siegel zufertigen zu lassen, dessen Gebrauch auf die Grenzen eines jeden eingeschränkt sein sollte. Das sächsische Siegel zeigt den Doppeladler mit einem Herzschilde (polnisches Wappen). Dieser Herzschild hat noch einen Mittelschild mit der Raute und den Kurschwertern. Die Umschrift enthält den polnisch-kursächsischen Vikariatstitel. Auch wurde ein doppelter Titel oder Eingang zu den Kammergerichtsausfertigungen in dem sächsischen Vikariatsbezirke beliebt, der eine für die Ausfertigungen, die bei besetztem Throne in des Kaisers Namen ergehen, der andere für solche Ausfertigungen, die sonst im Namen des Kammergerichts, der Präsidenten und Assessoren gebraucht werden sollten.

Diese gemeinsame Note wurde unterm 18. Jan. 1741 dem Kammergericht, auch nebst den Siegeln dem Kurfürsten von Mainz zugesandt und Kurbayern dazu Nachricht erteilt. Die Absonderung beider Vikariate fand aber sowohl bei Kurmainz als anderweit Anstand, und Kurmainz trug auf gemeinsame Siegel dem Herkommen gemäß an. Da man auch das rheinische gemeinsame Vikariat nirgends anerkennen wollte, ging das Zwischenreich zu Ende, ohne daß förmliche Ausfertigungen bei dem Kammergerichte erfolgten.

Im Jahre 1745 wurde seitens Sachsens, weil man vorausgesehen, daß das Vernehmen mit Kurbayern über Vikariatstitel und Siegel für das Kammergericht nicht so bald zustande kommen dürfte, für gut befunden, einstweilen ein besonderes Reskript (27. Febr.) an das Kammergericht zu erlassen, wodurch dieses in seinen Verrichtungen bestätigt und benachrichtigt wurde, daß nach gepflogener Vernehmung mit Kurbayern wegen der Titel und Siegel das Nötige an Kurmainz gelangen würde. Am 16. März wurde an das Kammergericht ein anderweites Reskript wegen der abzuändernden Pflichtsnotul und des Beiwortes „Kaiserlich“ erlassen. Auf ersteres antwortete das Kammergericht am 11. März, auf letzteres aber erst nach Empfang eines nochmaligen Reskripts vom 12. Juli 1745 und entschuldigte sich in diesem Schreiben, daß von der bei dem vorigen Zwischenreiche üblichen Eidesnotul abzugehen in seiner Macht nicht stehe, zumal von dem Konvikariat die gleiche Willensmeinung nicht eingelangt sei, und einige hohe Reichsstände die Abänderung der Eidesformel noch zur Zeit nicht zugeben wollten. Unterdessen wurde an dem bayerischen Hofe mit Erlaß der Ausfertigungen an das Kammergericht bis auf den 6. Aug. 1745 gezögert, und über ein gemeinschaftliches Siegel war man noch nicht übereingekommen, daß also die Kaiserwahl erfolgte, ehe von dem Kammergerichte im Namen der Vikare etwas ausgefertigt werden konnte.

Darauf einigte man sich durch Vergleich vom 9. Juni 1750 § 6 und 7 (Orig.-Urk. Hauptstaatsarchiv Dresden No. 14894) dahin, es sollten die verabredeten gemeinsamen Siegel und Titel, unter welchen das Kammergericht während eines jedesmaligen Interregnums zu verfügen hat, von jedem Reichsvikariat an den Kurfürsten von Mainz überschickt, dieselben auch


  1. Acta, das nach Ableben K. Josephs II. von Chursachsen geführte Reichsvikariat betr. vom Febr. 1790 vol. 3, fol. 135ff. Hauptstaatsarchiv Dresden Loc. 3127.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0183.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)